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Tollwutrisiko durch Hundekontakt

Kategorie: Infektionen » Expertenrat Infektions- und Reisemedizin | Expertenfrage

24.08.2020 | 21:07 Uhr

Hallo,

 

eigentlich glaube ich, dass ich einfach etwas übervorsichtig bin aber wollte hier dennoch mal nach einer Einschätzung fragen.

Am Wochenende war ich bei einem Spaziergang auf einem Feld unterwegs. Mir kam ein Hund mit Besitzer entgegen und der Hund war nicht angeleint. Als der Hund mich sah kam er geradewegs auf mich zu (nicht gerannt sondern ganz normal gegangen). Ich dachte eigentlich, dass er vorbeigeht hat sich dann aber doch für meine Wasserflasche interessiert und hat dran geschnuppert.


Als ich mich umgedreht habe, hat der Hund wohl etwas fehl interpretiert und hat sich aufgestellt und mir die Pfoten in die Hand gegeben (sorry kann es gerade nicht besser beschreiben). Mir war das Ganze echt unangenehm und ich wurde laut woraufhin auch der Besitzer dazu kam (Flasche Bier in der Hand und hat ihn wohl alles nicht so gejuckt). 

Der Hund hat sich dann als er wieder auf alle Pfoten wollte, meine Wade etwas aufgekratzt als er sich an meinen Kopfhörern verfangen hat (nur oberflächlich ohne Blut und der Kratzer war nach einer halben Stunde nicht mehr zu erkennen). Ich hatte ich etwas Speichel von ihm an der Hand und ich habe alles daheim abgewaschen. Allerdings habe ich wegen viel Wandern manche Kratzer an den Schienbeinen. In der ganzen Hektik weiß ich nicht ob nicht auch Speichel an die Schienbeine kam und kann nicht sagen ob da offene Wunden waren (während dem Ereignis- nicht vom Hund). 

Ich war natürlich erstmal perplex und habe den Besitzer gefragt ob der Hund geimpft sei. Der Besitzer meinte nur "ja wieso?" aber ihn hat es gar nicht interessiert und er war auch direkt wieder weg bzw. ist einfach weitergegangen. Ich stand da irgendwie erstmal perplex dumm in der Gegend rum. 

Jetzt kreisen sich nur Gedanken um dieses Thema Tollwut. Eigentlich weiß ich, dass es EXTREM unwahrscheinlich ist sich in Deutschland an TW zu infizieren.Der letzte Fall war ja 2007 oder 08 und der letzte Fall beim Tier 2013 und das nur bei einem illegal importierten Hund.

Dass sich nach 12 bzw. 7 Jahren nochmal ein Fall ergibt und das dann ausgerechnet bei mir wäre bei einem Hund, der nicht sonderlich aggressiv war und vielleicht noch nicht einmal Speichel mit meiner Schleimhaut in Kontakt kam ist ja wirklich SEHR unwahrscheinlich. Es ist aber doch die Dramatik und Hilflosigkeit bei dieser Erkrankung weswegen ich mich frage ob ich einen Arzt aufsuchen sollte.

Andererseits denke ich mir aber auch: Wenn ich jetzt wegen so etwas eine PEP anfange darf ich ja bald nicht mehr aus dem Haus oder kann nicht mehr rausgehen ohne mich fünf Mal umzusehen. Bei einem Auto Unfall zu sterben ist dann vermutlich wahrscheinlicher als das TW Risiko wegen so einem Vorfall. Dann dürfte ich ja wirklich nicht mehr aus dem Haus.

 

Nichtsdestotrotz wollte ich mal nach einem Expertenrat fragen. Vielen Dank im Voraus!

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Bisherige Antworten
Experte-Leidel
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25.08.2020, 11:18 Uhr
Antwort von Experte-Leidel

Guten Tag "Statistik",

eigentlich haben Sie alles, was dazu zu sagen ist, zutreffend geschrieben. Ja, Deutschland ist seit 2008 als frei von Tollwut bei landlebenden Tieren (also auch Hunden) zertifiziert und es gibt derzeit keinen Hinweis darauf, dass dies sich durch illegal importierte Tiere geändert haben könnte.

So, wie Sie das Verhalten des Hundes beschreiben, gibt es keinen Hinweis auf eine mögliche Erkrankung des Tieres (allerdings können infizierte Hunde schon einige Tage vor Auftreten von Symptomen infektiös sein). Den Kontakt selbst würde ich auch eher nicht als eine Risikosituation ansehen. Gleichwohl würde man, hätte sich diese Begegnung z. B. in Indien zugetragen, ernsthaft über eine PEP nachdenken. Hier in Deutschland würde ich das eindeutig nicht für erforderlich halten (und bei mir selbst auch nicht durchführen). Aber ich bin natürlich nicht "Doktor Allwissend" und ich war nicht dabei. Es spräche nichts dagegen, wenn Sie z. B. Ihren Hausarzt bzw. Ihre Hausärztin um eine "Zweitmeinung" bitten würden.

Mit freundlichen Grüßen

Dr. Jan Leidel

 

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25.08.2020, 11:57 Uhr
Kommentar

Sehr geehrter Herr Dr. Leidel,

 

vielen Dank für Ihre Antwort. Ich denke ich werde dann wie von Ihnen angeraten einen Arzt für eine Zweitmeinung konsultieren weil ich mir ansonsten dauerhaft weiter Gedanken mache.

Würde man denn von einem Fall in Deutschland tatsächlich in den Medien erfahren oder würde dies angesichts der aktuellen Pandemie nicht etwas untergehen?

Zudem hätte ich eine Frage zu einer PEP: Falls der zweite Arzt tatsächlich eine PEP befürwortet, wie eingeschränkt wäre ich im Alltag?
Ich habe für zwei Umzüge in meinem Umfeld in den nächsten Wochen zugesagt und gehe regelmäßig mit einer Freundin zum Kraftsport ins Fitnessstudio. Wäre eine solche Belastung lediglich an den Tagen einer Impfung zu vermeiden oder während der kompletten Dauer der Prophylaxe? Meine Sorge ist, dass ich dann zum "Drinnenhocken" verdonnert bin und sich auf einmal noch mehr Sorgen auftun wenn man nichts zu tun hat um den Kopf frei zu kriegen.

 

Vielen Dank für Ihre Hilfe!

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30.08.2020, 10:52 Uhr
Antwort

Hallo nochmal Herr Dr. Leidel,

 

Ich habe mich jetzt eigentlich dazu entschlossen das verschwindend geringe Risiko einer Infektion in Deutschland zu beachten und einfach andere Gedanken zu bekommen.

Allerdings hätte ich eine Frage zum Ablauf einer Post-Expositions-Prophylaxe:

Falls ein Hund stirbt ohne dass er vorher beim Tierarzt war also keine Diagnose gestellt wird:

Würde man von PEPs die verhäuft vorgenommen werden mitbekommen?
Also würden Prophylaxen auch bereits den Gesundheitsämtern gemeldet werden oder nur tatsächliche Infektionen?

 

Viele Grüße

Experte-Leidel
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30.08.2020, 13:07 Uhr
Antwort von Experte-Leidel

Guten Tag Statistik,

es ist nicht so, dass in Deutschland ein tollwutkranker Hund friedlich herumlaufen würde. bis er ohne Diagnose stirbt. Vielmehr ist das ein ziemlich dramatisches Krankheitsbild. Der Hund würde Menschen, die sich ihm nähern angreifen und Angst und Schrecken verbreiten. Man würde ihn auch eher nicht in eine tierärztliche Praxis bringen, sondern der Hund würde aller Voraussicht nach vom alarmierten Veterinäramt eingeschläfert werden. Und diese ganze Aufregung bliebe bei uns sicher nicht verborgen.

Ich halte Ihre Entscheidung für richtig.

Einen schönen Sonntag noch und

mit freundlichen Grüßen

Dr. Jan Leidel

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02.09.2020, 15:00 Uhr
Antwort

Sehr geehrter Dr. Leidel,

 

entschuldigen Sie, dass ich Sie nochmal belästige allerdings bin ich aufgrund von widersprüchlichen Aussagen von Ärzten etwas verwirrt.

Ich habe den hausärztlichen Bereitschaftsdienst aufgesucht. Dort hat mir ein Behandler (war glaube ich ein Pfleger und kein Doktor) gesagt ich müsse den Hund finden oder Tollwutspritzen erhalten. Er sprach von 10 Spritzen über den Verlauf mehrerer Monate. 

Die Prozedur widersprach allen Infos die ich bisher erhalten habe und daher habe ich eine niedergelassene Ärztin kontaktiert. Diese meinte man hätte über eine Prophylaxe nachdenken können aber dies sei nach mittlerweile 10 Tagen sinnlos. Ich könne aber versuchen mich in einer Klinik vorzustellen und eine PEP zu erhalten.

Ich habe vier Fragen weiter unten formuliert.

Durch diese ganzen widersprüchlichen Aussagen bin ich einfach komplett verunsichert. 

Es werden teilweise auch Verläufe beim Hund beschrieben, bei denen die Symptome variieren können:

https://einfachtierisch.de/hunde/hunde-gesundheit/tollwut-beim-hund-verlauf-der-toedlichen-krankheit-33393

 

1. Daher bin ich verunsichert ob man wirklich von einem Tollwutfall mitbekommen würde oder es möglich ist, dass ein Hund daran stirbt ohne dass eine Diagnose gestellt wird? 

 

2. Halten Sie eine Prophylaxe zum aktuellen Zeitpunkt noch für wirkungsvoll FALLS je eine Exposition vorlag?

 

3. Der Hund zeigte ja keine Symptomatik. Somit wäre doch selbst bei einer Infektion die Viruslast noch sehr gering. Ist es möglich dass diese Viruslast im FALLE eines Speichelkontakts gar nicht ausreichend ist um überhaupt eine Infektion auszulösen?

Oder ist ein Kontakt ungeachtet der Viruslast IMMER infektiös?

 

4. Werden Post-Expositions-Prophylaxen den Gesundheitsämtern gemeldet? So würde man ja frühzeitig mitbekommen falls in einem Landkreis verdächtige Kontakte auftreten (weit bevor der Hund die dramatische Erscheinung mit Aggressionen etc. hat

 

Vielen Dank für Ihre Hilfe und Geduld

Experte-Leidel
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02.09.2020, 16:16 Uhr
Antwort von Experte-Leidel

Guten Tag Statistik,

zu 1.:

Eine Tollwuterkrankung beim Hund ist praktich immer ein dramatisches Ereignis, das über wenige Tage anhält. Das Tier zeichnet sich durch ein weitgehendes Unvermögen aus zu schlucken. Da es auch seinen eigenen Speichel nicht schluckt, speichelt es stark. Es ist aggressiv und beißt um sich.

Sehr selten kann die Erkrankung auch "paralytisch" verlaufen ("stille Wut"). Dann ist das Tier nicht aggessiv, sondern zieht sich völlig zurück und versucht, jeden Kontakt zu vermeiden. In der Regel beißt es auch nicht. Das könnte vielleicht einmal übersehen werden, allerdings ist mir ein solcher Fall nicht bekannt. Meist werden mehrere Menschen angegriffen. Und das bleibt kaum unbemerkt. 

Der Verdacht auf Tollwut bei einem Tier ist der Veterinärbehörde gegenüber meldepflichtig.

Seit 2008 ist Deutschland offiziell als frei von terrestrischer Tollwut zertifiziert. Allerdings wurde 2008, 2010 und 2013 jeweils bei illegal importierten Hunden Tollwut festgestellt. Die Tiere kamen aus Kroatien, Bosnien und Marokko. Seitdem ist mir ein solcher Fall nicht mehr bekannt geworden.

zu 2.:

Da die Inkubationszeit der Tollwut sehr lange dauern kann, sollte man in begründeten Fällen auch noch längere Zeit nach einem Risikokontakt eine PEP durchführen. Allerdings ist die Gabe eines Antiserums nach mehr al 7 Tagen wirkungslos. Aber die hätte man bei Ihnen (nach den offiziellen Richtlinien) ohnehin nicht durchgeführt. Bei Ihnen hat nach Ihrer Schilderung allenfalls der Expositionsgrad II vorgelegen (nicht blutende, oberflächliche Kratzer oder Hautabschürfungen). Bei diesem Expositionsgrad wird normalerweise keine regelrechte PEP durchgeführt, sondern eine normale Grundimmunisierung mit drei Injektionen und ohne Antiserum.

zu 3::

Ein Hund kann etwa 3 bis 4 Tage vor Auftreten der Symptome die Infektion übertragen.

zu 4.:

Eine namentliche Meldepflich nach dem Infektionsschutzgesetz  besteht nicht nur bei Verdacht, Erkrankung und Tod, sondern schon bei „Verletzung eines Menschen durch ein tollwutkrankes,verdächtiges oder -ansteckungsverdächtiges Tier sowie die Berührung eines solchen Tieres oder Tierkörpers“.

Da eine PEP nur durchgeführt wird, wenn ein entsprechender Verdacht besteht und eine Verletzung bzw. ein Risikoverdacht vorliegt, greift die namentliche Meldepflicht.

Der Verdacht auf eine Erkrankung beim Tier ist wie oben ausgeführt der Veterinärbehörde zu melden.

Mit freundlichen Grüßen

Dr. Jan Leidel

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