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Studien zur Infektiösität von Hepatitis C

Kategorie: Infektionen » Expertenrat Infektions- und Reisemedizin | Expertenfrage

14.03.2021 | 16:07 Uhr

Sehr geehrter Dr. Leidel,

es ist mir sehr unangenehm, mich mit dieser Frage an Sie zu wenden und ich würde es gerne vermeiden, wenn die Belastung aktuell nicht so groß wäre.

Ich war lange in Therapie aufgrund meiner Angst vor HIV und Hepatitis C, was mir allerdings nicht geholfen hat. Der Lockdown scheint alte Ängste momentan wieder deutlich zu verstärken. In der Therapie habe ich gelernt, dass die Panik oft von alleine nachlässt, wenn nach einer subjektiv wahrgenommenen Risikosituation etwas Zeit vergeht. Oftmals ist das auch so. Es gab jedoch vor drei Monaten eine Situation, die mich bis heute so ängstigt, dass ich es nicht mehr mit mir selbst ausmachen kann.

Konkret ging es darum, dass sich beim Hausumbau ein Handwerker in unserer Küche verletzt hat. Ich habe dies mitbekommen, da ich einige Tage später Blutflecken in der Küche gefunden habe. Daraufhin habe ich meine Schwester angesprochen, die zu dem Zeitpunkt auf der Baustelle war und sie bestätigte, dass sich jemand am Finger geschnitten hatte, aber wohl kein Pflaster benötigte und normal weiterarbeitete. Natürlich kenne ich den Status dieser Person nicht, aber ich gehe leider in meiner Angst immer von dem Fall aus, dass Blut einer fremden Person infektiös sein könnte (ich habe keinen Anhaltspunkt dafür, aber eben auch nicht dagegen - so funktioniert die Angst leider). Mit meinem Hintergrund war die Vorstellung für mich furchtbar, dass der Mann danach noch stundenlang im Haus weitergearbeitet hat und so mit dem blutenden Schnitt am Finger verschiedene Oberflächen berührt hat. Nun, drei Monate später, stehen wir kurz vorm Einzug und die Ängste sind unermesslich. Sichtbare Blutflecken habe ich zwar damals schon beseitigt, allerdings hat er an dem Tag noch viele andere Dinge im Haus mit dem Schnitt angefasst, von Türklinken über Eimer, Unterlagen, Schubladen, Toilette etc. Ich kann natürlich nicht das ganze Haus desinfizieren.

Ich habe mich versucht zu beruhigen, indem ich nach Studien zur Infektiösität von Hepatitis C in getrocknetem Blut auf Oberflächen gesucht habe. Dabei bin ich auf eine Studie von Sandra Ciesek (2010) gestoßen (zusammengefasst: https://www.aerztezeitung.de/Kongresse/Praeventionspreis-zur-Infektiositaet-von-Hepatitis-C-Viren-283609.html; die Originalstudie dürfte folgende sein: https://academic.oup.com/jid/article/201/12/1859/796367?login=true ). Zwar erschrak ich zunächst über die doch recht lange Infektiösität, aber die genannten vier Wochen wären für meine geschilderte Situation beruhigend.

Ich fand jedoch auch eine englischsprachige Studie von Paintsil et al. aus dem Jahr 2013, die noch etwas aktueller ist ( https://academic.oup.com/jid/article/209/8/1205/830800). In den Zusammenfassungen dieser Studie ist immer wieder die Rede von einer Infektiösität von Hepatitis C in getrocknetem Blut auf Oberflächen "up to six weeks" bei Raumtemperatur und bei 4 Grad Celsius. Diese zwei Wochen mehr habe ich für mich damit begründet, das wahrscheinlich nochmal anderes Plasma und eine andere Methode verwendet wurden. Bei genauerem Hinsehen habe ich mich allerdings erschrocken, denn ich deute die Originalstudie so, dass sie nur sechs Wochen dauerte und in den getesteten Proben auch nach sechs Wochen die Infektiösität noch stabil war (unter dem Link sieht man das meiner Meinung nach in Abb. 1). Die Schlussfolgerung, dass Infektiösität in Blut auf Oberflächen bis zu sechs Wochen gegeben ist, wäre demnach falsch. Es müssten dann eigentlich "mindestens" sechs Wochen sein, weil über diesen Zeitraum hinaus nicht mehr getestet wurde.

Diese Gedanken machen mich ehrlich gesagt ziemlich verrückt. Während man in Cieseks Studie eindeutig sieht, dass nach 28 Tagen die Nachweisgrenze unterschritten ist, scheint Paintsils Studie eine potenziell endlos fortlaufende Infektiösität offen zu lassen.

Übertragen auf meine konkrete Situation würde dies natürlich bedeuten, auch nach den für mich bisher immer angenommenen sechs Wochen noch nicht sicher sein zu können, dass mögliche Blutreste im Haus wirklich nicht mehr infektiös sind.

Mir ist bei alledem natürlich bewusst, dass Labor ungleich Alltag und dass selbst bei Kontakt mit infektösem Blut nicht automatisch eine Infektion erfolgt. Darauf weisen Sie in diesem Forum häufig hin. Nichtsdestotrotz wäre ich viel beruhigter, wenn ich einen konkreten Zeitraum hätte, der mir Sicherheit gäbe - über den hinaus Hepatitis C-Viren nicht mehr infektionstüchtig sind, ohne Wenns und Abers. In Bezug auf HIV ängstige ich mich nach diesem Zeitraum nicht mehr, da immer die Rede von maximal 5-6 Tagen bei Raumtemperatur ist.

Kennen Sie eventuell diese Studien oder andere Daten, die mich in diesem Fall beruhigen könnten?

Mir nimmt der Gedanke, es könnte auch nach drei Monaten noch an diversen Oberflächen in der Küche und in anderen Räumen, die der Mann an diesem Tag mit der Wunde angefasst hat, (potenziell/angenommen) infektiöses Blut haften, jegliche Freude auf den Umzug.

Ich danke Ihnen herzlich für Ihre Zeit. Ich weiß dieses Angebot sehr zu schätzen.

Freundliche Grüße

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Bisherige Antworten
Experte-Leidel
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14.03.2021, 21:58 Uhr
Antwort von Experte-Leidel

Guten Abend,

es tut mir leid, dass Sie sich so quälen. Aber das, was Ihnen jetzt konkret Sorgen bereitet, hat mit Ihren Ängsten im Alltag nichts, aber auch gar nichts zu tun. 

In den zitierten Arbeiten geht es um die theoretische Dauer der Infektiosität von Hepatitis C (HCV) im Medizinbereich. Das gilt für HIV in etwa ähnlich. Es geht da weder um geronnenes und getrocknetes Blut, noch um Kontakte, wie sie alltäglich vorkommen.

Wenn HCV-haltige Körperflüssigkeiten unter Laborbedingungen in Mikrotiter-Platten eingebracht werden und diese Proben nach unterschiedlichen Zeiträumen in Zellkulturen auf Infektiosität getestet werden, hat man herausgefunden, dass diese Infektiosität länger als früher gedacht erhälten bleibt und zum Risiko beim Legen oder Entfernen von Venenkathetern oder der Plasmagewinnung werden kann. 

Das hat aber mit evtl. getrockneten und geronnenen Blutflecken überhaupt nichts zu tun.

Das Robert Koch-Institut schreibt zur Ihrer Situation näher kommenden Alltagssituation, wie der offenbar ja sehr geringen Blutung des Handwerkers den folgenden Text, der sich direkt auf HIV bezieht, aber genauso für HBC gilt:

"HIV kann, je nach Umgebungsbedingungen, auch außerhalb des Körpers seine Infektiosität noch tagelang behalten. Für die Frage der Ansteckungsmöglichkeiten ist dies im Alltag aber meist wenig relevant, da in der Regel keine geeignete Eintrittspforte für das Virus mehr besteht. Dies gilt auch für Blut oder Sperma an Gegenständen. Sobald potentiell infektiöse Körperflüssigkeiten angetrocknet sind, besteht in der Regel keine Möglichkeit einer Infektionsübertragung mehr."

Und weiter heißt es: "Wenn angetrocknetes Blut wieder in Lösung gebracht wird (z.B. bei Wiederverwendung einer gebrauchten Spritze) und aktiv in den Körper eingebracht (z.B. injiziert) wird, besteht ein Infektionsrisiko. Der blosse Hautkontakt, auch der flüchtige Kontakt mit verletzter Haut, erlaubt kein Eindringen des Virus in den Körper."

Ich gehe davon aus, dass Sie nicht versuchen wollen, die geronnenen und getrockneten Blutflecken Ihres Handwerkers mit geeignetem Plasma wieder in Lösung bringen und sich spritzen wollen.

HCV zu übertragen ist übrigens ziemlich schwierig, wenn man keinen intravenösen Drogengebrauch praktiziert. Wenn sich im Medizinbereich eine Person mit einer Nadel sticht, die zuvor bei einem HCV-Patienten verwendet wurde, beträgt die Wahrscheinlichkeit einer Ansteckung deutlich unter 1 %.

Also: verwechseln Sie nicht Äpfel mit Birnen und sprechen Sie mit Ihrem Therapeuten bzw. Ihrer Therapeutin.

Mit freundlichen Grüßen

Dr. Jan Leidel

 

 

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17.03.2021, 16:21 Uhr
Kommentar

Sehr geehrter Dr. Leidel,

vielen Dank für Ihre ausführliche Antwort. Wie bereits erwähnt, habe ich mir wegen HIV diesbezüglich keine wirklichen Sorgen gemacht, weil mir die von Ihnen zitierte Stelle des RKI bekannt war. Das ist für mich eine konkrete Angabe, mit der ich "arbeiten"/leben kann.

In Bezug auf HCV macht mir vor allem die Undeutlichkeit der Angaben zur Länge der Infektiösität außerhalb des Körpers Sorgen. Ich lese immer wieder, dass HCV außerhalb des Körpers deutlich stabiler ist als HIV. Man findet dazu allerdings keine eindeutige Angabe. Oft wird von ein paar Tagen gesprochen, dann gibt es aber auch Studien wie die oben genannten, die von mehreren Wochen sprechen (in der Studie von Ciesek auch in Bezug auf Blut auf Oberflächen wie Gummi, Holz, Plastik etc.). Ich könnte wesentlich leichter damit leben, wenn ich wüsste, dass diese Infektiösität eine zeitliche Grenze hat und Blut bei Raumtemperatur nicht ewig infektiös bleiben kann, wenn es noch getrocknet irgendwo haftet. Dass es dann noch eine geeignete Eintrittspforte bräuchte, ist mir zwar bewusst. Aber der Gedanke, mit Blut in Kontakt zu kommen, das noch infektiös sein könnte, behagt mir insgesamt nicht. Vielleicht können Sie das nachvollziehen. 

Darf ich Ihrer Meinung nach davon ausgehen, dass mögliche Blutreste an Oberflächen nach einer Zeitspanne von sechs Wochen (in diesem Fall sogar 12 Wochen) hinsichtlich HCV insgesamt nicht mehr infektös sein können, geeignete Eintrittspforte hin oder her?

Vielen Dank.

 

Mit freundlichem Gruß

Experte-Leidel
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17.03.2021, 19:14 Uhr
Antwort von Experte-Leidel

Guten Tag,

das, was auf der Seite "Fragen und Antworten zu HIV" des RKI steht, gilt entsprechend auch für HCV. Beide Viren sind von einer Lipidhülle umschlossen, die die Stabilität des Virus an der Umwelt verringert. Beide Viren können gleichwohl an der Umwelt einige Zeit ihre theoretische Infektiosität behalten, wobei HCV umweltstabiler ist.

Dass Sie keine konkrete Aussage zur Dauer der Infektiosität finden, liegt daran, dass diese Wiederstandsfähigkeit von Umweltfaktoren abhängt (Luftfeuchtigkeit, Temperatur, UV- und Sonneneinstrahlung und vieles mehr).

Die Infektion von HCV erfolgt hauptsächlich durch Blut. Im normalen Leben, also außerhalb eines Labors und eines medizinischen Settings finden die Infektionen durch geronnenes bzw. getrocknetes Blut kaum  mehr statt. Das Virus kann sich nicht von selbst fortbewegen und  findet keine Eintrittspforte.

Wie wird HCV übertragen? Gesichert ist die Infektion durch infektiöses Blut. Weltweit sind die Hauptursachen die Übertragung durch unsichere medizinische Injektionen und durch injizierenden Drogengebrauch.

Eine Übertragung durch Niesen, Husten oder Alltagskontakte ohne Blut sind nicht bekannt.

Die sexuelle Übertragung ist grundsätzlich möglich, erfolgt aber im Allgemeinen selten. Häufiger kommt es zur Übertragung bei mit Verletzungen einhergehenden Sexualpraktiken und bei HIV-positiven Partnern.

Schwangere können die Infektion in 5 bis 10% auf ihr ungeborenes Kind übertragen.

Bei Nadelstichverletzungen im medizinischen Bereich kommt es in weniger als 1% zur Übertragung

Ihre direkte Frage ob Blutreste an Oberflächen nach sechs Wochen nicht mehr infektiös sind, kann ich für die Normalsituation bejahen. Das dürfte in dem meisten Fällen schon wesentlich früher so sein.

Mit freundlichen Grüßen

Dr. Jan Leidel

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