Sehr geehrter Dr. Leidel,
es ist mir sehr unangenehm, mich mit dieser Frage an Sie zu wenden und ich würde es gerne vermeiden, wenn die Belastung aktuell nicht so groß wäre.
Ich war lange in Therapie aufgrund meiner Angst vor HIV und Hepatitis C, was mir allerdings nicht geholfen hat. Der Lockdown scheint alte Ängste momentan wieder deutlich zu verstärken. In der Therapie habe ich gelernt, dass die Panik oft von alleine nachlässt, wenn nach einer subjektiv wahrgenommenen Risikosituation etwas Zeit vergeht. Oftmals ist das auch so. Es gab jedoch vor drei Monaten eine Situation, die mich bis heute so ängstigt, dass ich es nicht mehr mit mir selbst ausmachen kann.
Konkret ging es darum, dass sich beim Hausumbau ein Handwerker in unserer Küche verletzt hat. Ich habe dies mitbekommen, da ich einige Tage später Blutflecken in der Küche gefunden habe. Daraufhin habe ich meine Schwester angesprochen, die zu dem Zeitpunkt auf der Baustelle war und sie bestätigte, dass sich jemand am Finger geschnitten hatte, aber wohl kein Pflaster benötigte und normal weiterarbeitete. Natürlich kenne ich den Status dieser Person nicht, aber ich gehe leider in meiner Angst immer von dem Fall aus, dass Blut einer fremden Person infektiös sein könnte (ich habe keinen Anhaltspunkt dafür, aber eben auch nicht dagegen - so funktioniert die Angst leider). Mit meinem Hintergrund war die Vorstellung für mich furchtbar, dass der Mann danach noch stundenlang im Haus weitergearbeitet hat und so mit dem blutenden Schnitt am Finger verschiedene Oberflächen berührt hat. Nun, drei Monate später, stehen wir kurz vorm Einzug und die Ängste sind unermesslich. Sichtbare Blutflecken habe ich zwar damals schon beseitigt, allerdings hat er an dem Tag noch viele andere Dinge im Haus mit dem Schnitt angefasst, von Türklinken über Eimer, Unterlagen, Schubladen, Toilette etc. Ich kann natürlich nicht das ganze Haus desinfizieren.
Ich habe mich versucht zu beruhigen, indem ich nach Studien zur Infektiösität von Hepatitis C in getrocknetem Blut auf Oberflächen gesucht habe. Dabei bin ich auf eine Studie von Sandra Ciesek (2010) gestoßen (zusammengefasst: https://www.aerztezeitung.de/Kongresse/Praeventionspreis-zur-Infektiositaet-von-Hepatitis-C-Viren-283609.html; die Originalstudie dürfte folgende sein: https://academic.oup.com/jid/article/201/12/1859/796367?login=true ). Zwar erschrak ich zunächst über die doch recht lange Infektiösität, aber die genannten vier Wochen wären für meine geschilderte Situation beruhigend.
Ich fand jedoch auch eine englischsprachige Studie von Paintsil et al. aus dem Jahr 2013, die noch etwas aktueller ist ( https://academic.oup.com/jid/article/209/8/1205/830800). In den Zusammenfassungen dieser Studie ist immer wieder die Rede von einer Infektiösität von Hepatitis C in getrocknetem Blut auf Oberflächen "up to six weeks" bei Raumtemperatur und bei 4 Grad Celsius. Diese zwei Wochen mehr habe ich für mich damit begründet, das wahrscheinlich nochmal anderes Plasma und eine andere Methode verwendet wurden. Bei genauerem Hinsehen habe ich mich allerdings erschrocken, denn ich deute die Originalstudie so, dass sie nur sechs Wochen dauerte und in den getesteten Proben auch nach sechs Wochen die Infektiösität noch stabil war (unter dem Link sieht man das meiner Meinung nach in Abb. 1). Die Schlussfolgerung, dass Infektiösität in Blut auf Oberflächen bis zu sechs Wochen gegeben ist, wäre demnach falsch. Es müssten dann eigentlich "mindestens" sechs Wochen sein, weil über diesen Zeitraum hinaus nicht mehr getestet wurde.
Diese Gedanken machen mich ehrlich gesagt ziemlich verrückt. Während man in Cieseks Studie eindeutig sieht, dass nach 28 Tagen die Nachweisgrenze unterschritten ist, scheint Paintsils Studie eine potenziell endlos fortlaufende Infektiösität offen zu lassen.
Übertragen auf meine konkrete Situation würde dies natürlich bedeuten, auch nach den für mich bisher immer angenommenen sechs Wochen noch nicht sicher sein zu können, dass mögliche Blutreste im Haus wirklich nicht mehr infektiös sind.
Mir ist bei alledem natürlich bewusst, dass Labor ungleich Alltag und dass selbst bei Kontakt mit infektösem Blut nicht automatisch eine Infektion erfolgt. Darauf weisen Sie in diesem Forum häufig hin. Nichtsdestotrotz wäre ich viel beruhigter, wenn ich einen konkreten Zeitraum hätte, der mir Sicherheit gäbe - über den hinaus Hepatitis C-Viren nicht mehr infektionstüchtig sind, ohne Wenns und Abers. In Bezug auf HIV ängstige ich mich nach diesem Zeitraum nicht mehr, da immer die Rede von maximal 5-6 Tagen bei Raumtemperatur ist.
Kennen Sie eventuell diese Studien oder andere Daten, die mich in diesem Fall beruhigen könnten?
Mir nimmt der Gedanke, es könnte auch nach drei Monaten noch an diversen Oberflächen in der Küche und in anderen Räumen, die der Mann an diesem Tag mit der Wunde angefasst hat, (potenziell/angenommen) infektiöses Blut haften, jegliche Freude auf den Umzug.
Ich danke Ihnen herzlich für Ihre Zeit. Ich weiß dieses Angebot sehr zu schätzen.
Freundliche Grüße