Avatar

Kind küsst Hund - unbedenklich?

Kategorie: Infektionen » Expertenrat Infektions- und Reisemedizin | Expertenfrage

24.02.2020 | 11:42 Uhr

Guten Tag,

ich habe bei einer privaten Diskussion folgende Szene als unbedenklich eingestuft. Sehen das die Experten auch so oder liege ich da doch falsch?

Ein Kind hat im Urlaub im Vorbeigehen arglos einem Hund, der an der Straße saß, einen kleinen Kuss aufgedrückt, irgendwo in dessen Gesicht (ging zu schnell, um das genau zu lokalisieren). Der Hund war lammfromm und hat sich unauffällig verhalten, aber zumindest theoretisch (weil seine Vergangenheit unbekannt ist und auch nicht mehr nachvollzogen werden kann) könnte es dennoch sein, dass er eine Tollwutinfektion und damit also infektiösen Speichel hatte.

ABER: Der Kontakt, den der Mund des Kindes zu dem Hund hatte, war wirklich kurz, nur wenige Sekunden. Es kann zwar durchaus sein, dass bei dem Küsschen etwas Speichel des Hundes auf die Mundschleimhaut des Kindes gelangt ist. Aber wir sprechen da wirklich von einer geringen Menge, sicher nicht mehr, als bei einem kurzen Kuss zwischen Menschen ausgetauscht wird. Und meine Argumente, warum diese Kuss-Szene Kind/Hund aus meiner Sicht unbedenklich ist, waren: Das Kind war erstens unverletzt (soweit man das sehen konnte) und zweitens ist die Mundschleimhaut ja auch von einem eigenen Speichelfilm zumindest ein Stück weit geschützt. Ich denke, dass ein kleines bisschen Hundespeichel nicht genug "Kraft" dafür hätte, eine Tollwutinfektion bei dem Kind auszulösen.

Wie schätzen Sie, liebe mitlesende Experten, diese Szene ein?

Vielen Dank im Voraus.

Helfen Sie mit Ihrer Bewertung: Ja, dieses Thema ist hilfreich!

0
Bisherige Antworten
Experte-Leidel
Beitrag melden
24.02.2020, 15:45 Uhr
Antwort von Experte-Leidel

Guten Tag Sig,

diese ja wohl hypothetisch gemeinte Frage kann ich so nicht wirklich beantworten. Aber grundsätzlich sollte man sich, insbesondere in Gebieten, in denen Tollwut tatsächlich vorkommt, von fremden Hunden fernhalten. 

In Deutschland oder Mitteleuropa kann könnte keine Übertragung von Tollwut erfolgt sein, weil es hier seit 2008 offiziell keine Tollwut bei landlebenden Tieren mehr gibt.

Hätte sich der Vorfall z. B. in Indien ereignet, würde ich als jemand, der nicht dabei war, sicherheitahlaber eher zu einer postexpositionellen Impfung raten. Das Risiko ist zwar so, wie Sie es schildern, eigentlich nicht gegeben, aber haben Sie wirklich alles ganz genau gesehen? Können Sie ausschließen, dass es zu einem Kontakt von Hundespeichel und der Mundschleimhau gekommen sein könnte.

Wenn das allerdings die Prämisse des Gedankenexperiments sein soll, dass kein Speichelkontakt erfolgte, muss man nichts tun. Aber im wirklichen Leben wüsste ich nicht, ob man diese Sicherheit wirklich aufbrächte und den möglichen Tod des Kindes in Kauf nehmen würde.

Mit freundlichen Grüßen

Dr. Jan Leidel

PS: Ich wäre Ihnen dankbar, wenn Sie die Gedankenspiele nicht weiter ausweiten würden.

Beitrag melden
25.02.2020, 01:17 Uhr
Kommentar

Guten Tag Herr Dr. Leidel,

es überrascht mich ehrlich gesagt, dass Sie in diesem Zusammenhang tatsächlich eine Gefahr sehen. Ich hielt die Szene wie gesagt eigentlich für harmlos.

Um Ihre Frage zu beantworten: Nein, es wurde nicht alles im Detail gesehen, was zwischen Hund und Kind passiert ist. Sicher ist nur, dass das Kind nicht länger als fünf Sekunden an dem Hund war, denn das wurde so gesehen. Und in dieser Zeit hat es einen kurzen Mundkontakt gegeben, bei dem auch Hundespeichel auf die Mundschleimhaut des Kindes gekommen sein könnte. Aber sicherlich keine große Menge. Und da hatte ich eben Vertrauen in die Schutzfunktion des Körpers bzw. des menschlichen Speichels...

Wenn ich Sie richtig verstanden habe, ist die Mundschleimhaut durch den eigenen Speichel also nicht ausreichend gegen etwaige Tollwutviren in einer kleinen Menge Hundespeichel (kurzer Kuss) geschützt?

Dann habe ich die Fähigkeiten des menschlichen Körpers offensichtlich überschätzt. Bzw. dachte ich bisher, dass es für eine Tollwut-Infektion über die Schleimhaut schon erhebliche Mengen an Hundespeichel bräuchte, also zumindest eine deutliche Gegenreaktion des Hundes mit viel Zungenschleckerei (die es in dem besagten Fall schon rein zeitlich nicht gegeben haben kann).

Der besagte Vorfall Kind - Hund liegt schon fast anderthalb Wochen zurück, für eine nachträgliche Impfung wäre es daher wohl schon zu spät. Das Thema kam nur zufällig in einer privaten Diskussion zur Sprache. Angesichts Ihrer Antwort bleibt nun nur zu hoffen, dass der Hund so gesund war, wie er äußerlich wirkte...

Freundliche Grüße und Danke.

Experte-Leidel
Beitrag melden
25.02.2020, 16:01 Uhr
Antwort von Experte-Leidel

Guten Tag Sig,

Ihre Überraschung wundert mich nun etwas. Was erwarten Sie von mir? Ich hatte doch für eine sichere Aussage viel zu wenig Details. Gibt es am Ort des Geschehens überhaupt Tollwut, was genau hat sich ereignet?

ich schrieb:" In Deutschland oder Mitteleuropa kann keine Übertragung von Tollwut erfolgt sein, weil es hier seit 2008 offiziell keine Tollwut bei landlebenden Tieren mehr gibt."

"Hätte sich der Vorfall z. B. in Indien ereignet, würde ich als jemand, der nicht dabei war, sicherheitshalber eher zu einer postexpositionellen Impfung raten. Das Risiko ist zwar so, wie Sie es schildern, eigentlich nicht gegeben, aber haben Sie wirklich alles ganz genau gesehen? Können Sie ausschließen, dass es zu einem Kontakt von Hundespeichel und der Mundschleimhaut gekommen sein könnte."

Meinen Sie, es wäre verantwortungsvoll gewesen, als jemand, der nicht dabei war, anhand Ihrer Schilderung ("Der Kontakt, den der Mund des Kindes zu dem Hund hatte, war wirklich kurz, nur wenige Sekunden.") eine Aussage zu treffen, die über Leben und Tod entscheiden könnte? Was meinen Sie denn, wieviele Sekunden ein Sekretaustausch für eine Infektion benötigt?

Und die Aussage: "Ich denke, dass ein kleines bisschen Hundespeichel nicht genug "Kraft" dafür hätte, eine Tollwutinfektion bei dem Kind auszulösen." ist nun wirklich nicht wissenschaftlich validiert.

Mit freundlichen Grüßen

Dr. Jan Leidel

PS: Wenn es nicht nur ein Gedankenspiel war, sondern Realität, würde mich der Ort des Geschehens tatsächlich interessieren.

Beitrag melden
26.02.2020, 00:50 Uhr
Kommentar

Guten Tag Herr Dr. Leidel,

dass Sie aus Sicherheitsgründen zurückhaltend bei der Antwort sind, leuchtet mir ein. Ich bin wohl etwas naiv an die Sache herangegangen bzw. mit einem Schwarz-Weiß-Denken. Irgendwie bin ich davon ausgegangen, dass man zu dem besagten Vorfall eine klare Aussage zur (Un-)Bedenklichkeit treffen kann.

Eine grundsätzliche Erwartungshaltung, die ich zu Beginn hatte, war wohl, dass ich hier Detailinformationen darüber erhalte, inwiefern eine Tollwut-Infektion über die Mundschleimhaut überhaupt möglich ist. Als Laie hat man es ja eigentlich nicht wirklich auf dem Schirm, dass auf diese Weise eine solche Gefahr droht. Denn im Allgemeinen ist Tollwut ja zumindest beim Laien fest mit Bissverletzungen als Übertragungsweg verbunden.

Können Sie vielleicht abseits des konkreten Falls (um nicht mehr über eine bestimmte Menge an Speichel in einem Einzelfall spekulieren zu müssen) ein paar allgemeine Dinge hierzu schreiben? Das würde zumindest meinen Horizont und mein Hintergrundwissen wertvoll erweitern, auch wenn es bezüglich des konkreten geschilderten Falls keine Sicherheit bringt. 

Also, konkret gefragt: Sind in der Fachwelt Fälle bekannt, in denen es zu Tollwutinfektionen rein über eine intakte/unverletzte Mundschleimhaut als Eintrittspforte gekommen ist? Lässt sich das entsprechende Risiko irgendwie allgemein beziffern? Lässt sich irgendwie abschätzen, wie viel Hundespeichel im Spiel sein müsste oder wie intensiv ein Kontakt sein müsste, damit eine Tollwut-Übertragung über die Mundschleimhaut denkbar ist?

Der betreffende Ort des Geschehens, nach dem Sie gefragt hatten, ist Mazedonien/Makedonien. Wahrscheinlich laufen dort nicht viele tollwütige Tiere herum, aber das Land steht zumindest meines Wissens nach nicht auf der offiziellen Liste der Länder, die frei von terrestrischer Tollwut sind.

Und der Vorfall ist halt einer, den man als Eltern kaum verhindern kann. Kind springt ausgelassen durch die Fußgängerzone einer mittelgroßen Stadt, und bevor man es zurückrufen kann, ist es schon kurz an dem niedlichen Hund dran, der da an der Ecke neben einem (mutmaßlich) Obdachlosen sitzt. Dergleichen wird bestimmt nicht noch einmal passieren, denn auch ein Kind ist ja lernfähig. Aber das eine Mal ist es jetzt halt passiert und in diesem Fall muss man jetzt halt damit leben und das Beste hoffen.

Danke für Ihre Hilfe und Ihre Zeit. Durch diesen Thread habe ich  bereits jetzt einiges gelernt.

Experte-Leidel
Beitrag melden
26.02.2020, 18:03 Uhr
Antwort von Experte-Leidel

Guten Tag Sig,

die Tollwut-Viren finden sich beim erkrankten Tier im Speichel. Es ist aber durchaus richtig, dass Sie in erster Linie im Zusammenhang mit Tollwut an einen Biss denken. So werden auch über 95% der Infektionen übertragen. Aber grundsätzlich kann auch eine Übertragung durch den Speichel eines kranken Tieres erfolgen. Und ja, das ist auch schon vorgekommen.

Bei der Exposition werden drei Grade unterschieden. Dabei geht es immer um ein tollwutverdächtiges oder tollwütiges Wild- oder haustier oder eine Fledermaus (zitiert nach STIKO):

Grad I: Berühren/Füttern von Tieren, Belecken der intakten Haut:

Keine Maßnahme erforderlich.

Grad II: Nicht blutende, oberflächlicheKtatzer oder Hautabschürfungen, Lecken oder Knabbern an der nicht intakten Haut

Aktive Grundimmunisierung, aber keine Gabe von Antiserum.

Grad III: Bissverletzungen oder Kratzwunden, Kontakt von Schleimhäuten oder Wundenmit Speichel (z. B. durch lecken, Verdacht auf Biss oder Kratzer durch eine Fledermaus oder Kontakt der Schleimhäute mit einer Fledermaus:

Verabreichung von TW-Immunglobulien (Antiserum), vollständige Grundimmunisierung.

Sie sehen, dass Kontakt von Speichel mit Schleimhaut zur Infektion führen kann.

Die Frage nach tollwutverdächtig oder tollwütig ist etwas problematisch, da z. B. Katzen oder Hunde einige Tage vor der Erkrankung ansteckend sein können.

Ja, in Mazedonien gibt es Tollwut. Allerdings  halte ich es nach Ihrer Beschreibung für sehr unwahrscheinlich, dass der Hund tatsächlich infiziert war. Und zwischenzeitlich wäre das auch sicher bekannt, der Hund tot und die Region ein Sperrbezirk. 

Ich selbst hätte - wäre es mein Kind gewesen - mit ziemlicher Sicherheit auch nichts unternommen.

Es tut mir leid, falls ich Sie durch meine Antwort verunsichert habe. Aber das lag auch etwas an der Fragestellung, aus der weder Ort noch genaue Umstände noch überhaupt ob die Frage sich auf einen konkreten Vorfall bezieht oder auf eine Art Gedankenspiel hervorging.

Aber ich denke, wir haben jetzt eigentlich alles geklärt. Und nochmal, ich würde mich nicht sorgen.

Mit freundlichen Grüßen

Dr. Jan Leidel

Beitrag melden
26.02.2020, 23:52 Uhr
Kommentar

Guten Tag Herr Dr. Leidel,

vielen Dank für die Aufklärung.

Es ist beruhigend für mich zu wissen, dass Sie nach dem besagten Vorfall wohl auch nichts unternommen hätten. Das zeigt mir, dass meine instinktive Bewertung der Szene okay war. Obwohl ich das grundsätzliche Risiko offensichtlich etwas unterschätzt habe.

Angesichts der riesigen Fortschritte in der Medizin in den vergangenen paar Jahrzehnten finde ich es bemerkenswert, dass es gegen die uralte Krankheit Tollwut immer noch kein Heilmittel gibt. Hoffentlich findet sich da in absehbarer Zeit etwas.

Danke für das freundliche Gespräch, Herr Dr. Leidel. Der Dialog mit Ihnen war wirklich hilfreich für mich.

Diskussionsverlauf
Corona: Welche Symptome sind möglich?

Die wichtigsten Fakten zum Coronavirus im Überblick und der aktuelle Impfstatus in Deutschland →

mehr...
Stellen Sie selbst eine Frage!

...an andere Nutzer der Lifeline-Community oder unsere Experten

Stichwortsuche in Fragen und Antworten

Durchstöbern Sie anhand der für Sie interessanten Begriffe aus Gesundheit und Medizin die Beiträge und Foren in der Lifeline-Community.

Übersicht: Expertenrat
afgis-Qualitätslogo mit Ablauf 2024/05: Mit einem Klick auf das Logo öffnet sich ein neues Bildschirmfenster mit Informationen über FUNKE Digital GmbH und sein/ihr Internet-Angebot: https://www.lifeline.de/

Unser Angebot erfüllt die afgis-Transparenzkriterien.
Das afgis-Logo steht für hochwertige Gesundheitsinformationen im Internet.

Sie haben Lifeline zum Top-Gesundheitsportal gewählt

Sie haben Lifeline zum Top-Gesundheitsportal gewählt. Vielen Dank für Ihr Vertrauen.