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Kategorie: Infektionen » Expertenrat Infektions- und Reisemedizin | Expertenfrage

08.09.2017 | 19:10 Uhr

Guten Tag Herr Dr.,

mich interessieren einige Fragen zur TollwutÜbertragung da ich sehr oft reise. Ich lese hier Ihre Beiträge und finde Ihre Erklärungen toll. 

1. wieso kann man so indirekte Übertragungen ausschließen? Z.bsp. Ich befinde mich irgendwo in einem Land wo Tollwut mehr oder weniger vorkommt, greife mit einer Wunde in speichel welcher irgendwo an einem Gegenstand klebt. Wieso kann man hier eine Übertragung ausschließen? Man sagt doch dass das Virus kleinste Verletzungen braucht um einen Menschen zu infizieren. Wird bei so einem indirekten Kontakt eine pep empfohlen?

2. wieso muss man bei bereits geimpften Personen nachimpfen? Würde da die grundimmunisierung bei einer Infektion nicht ausreichen?

3. wieviele Infektion erfolgen tatsächlich wenn man von einem infizierten Tier gebissen wurde? Führt jeder Biss zur Tollwut?

ich freue mich auf Ihre antworten, Danke 

 

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Experte-Leidel
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09.09.2017, 13:28 Uhr
Antwort von Experte-Leidel

Guten Tag MahNin,

1. Ausschließen:

"Ausschließen" ist natürlich ein großes Wort. Letztlich kann man nur ganz wenige Ereignisse oder drgl. "mit letzter Sicherheit ausschließen". Ich kann nicht einmal ausschließen, dass die Decke meines Zimmers in Kürze einbricht und mich tötet. Weil das so ist, wird z. B. in gesetzlichen Bestimmungen der Begriff "nicht zu besorgen" verwendet. So muss z. B. Trinkwasser so beschaffen sein, dass eine Schädigung der menschlichen Gesundheit "nicht zu besorgen ist". Das bedeutet, dass eine Schädigung außerordentlich unwahrscheinlich sein muss.

Würde man sich jedesmal, wenn ein Mensch mit einer kleinen Wunde etwas Feuchtes berührt, die Frage stellen, ob eine Tollwutinfektion ausgeschlossen werden könne (vielleicht war das Feuchte Speichel, vielleicht stammt der von einem illegal importierten Tier, das vielleicht Tollwut hatte usw.), und sicherheitshalber eine Postexpositionsprophylaxe durchführen, würde das einen unglaublichen Aufwand bedeuten und die Lieferkapazitäten an Impfstoff übersteigen.

In den allermeisten Fällen (>90%) erfolgen Tollwutinfektionen durch den Biss eines tollwütigen Tieres, das wenige Tage vor seinem eigenen Tod die Viren im Speichel trägt. Durch den Biss werden die Viren sehr effektiv ins Gewebe eingebracht. In seltenen Fällen erfolgt die Infektion durch Kratzwunden oder durch den direkten Kontakt infektiösen Speichels mit einer Schleimhaut.

Bei den Fragen, die mich in diesem Forum erreichen, gibt es in der Regel auch nicht den geringsten Hinweis darauf, dass es sich tatsächlich um frischen Speichel handelt. Und darauf, dass dieser Speichel tatsächlich von einem tollwütigen Tier stammt (solche Tiere fallen in bewohnten Gegenden auf) und eine minimale Infektionsdosis an Tollwutviren enthält, gibt es auch keinen Anhalt.

Wenn ich auch nur den geringsten Verdacht habe, dass eine solche äußerst ungewöhnliche Situation zu einer Infektion geführt haben könnte (mir ist ein derartiger Fall aus der wissenschaftlichen Literatur nicht bekannt), weise ich auch darauf hin, dass z. B. der Hausarzt (m/w) ebenfalls zu Rate gezogen wird.

2. Warum auffrischen?

Nach vielen Impfungen mit abgetöteten Erregern bzw. gereinigten Erregerbestandteilen hält der Schutz nicht "ewig". Denken Sie daran, dass z. B. die Impfung gegen Tetanus und Diphtherie alle 10 Jahre aufgefrischt werden sollte. Ob nach längerer Zeit noch ein Schutz besteht, hängt in erster Linie davon ab, ob der Körper ein sog. "Immungedächtnis" entwickelt hat. Außerdem kann es eine Rolle spielen, ob zum Zeitpunkt der Infektion noch genügend Antikörper vorhanden sind. Der zweite Punkt ist gerade bei der Tollwut wichtig. Die Tollwutviren sind nur für begrenzte Zeit frei im Gewebe vorhanden, wo sie von Antikörpern unschädlich gemacht werden können. Danach dringen sie in Nervenzellen ein und machen sich auf den Weg ins Gehirn des Infizierten. Dann sind sie für Antikörper kaum noch zu erreichen.

Eine vorbeugende Tollwutimpfung (Grundimmunisierung) besteht aus drei Injektionen an den Tagen 0 - 7 - 21 (oder 28). Danach kann man im Prinzip von einem guten Schutz ausgehen. Gleichwohl wird angesichts der Gefährlichkeit der Tollwut empfohlen, sich im Falle eines relevanten Kontakts (Biss oder drgl.) in einem Land mit Tollwutrisiko vor Ort noch zwei Impfungen geben zu lassen. Ansonsten sollte man sich - je nach Impfstoff - ein oder zwei Jahre nach der Grundimmunisierung noch eine vierte Impfung als Auffrischimpfung geben lassen. Danach scheiden sich die Geister etwas. Die Hersteller empfehlen zur höchstmöglichen Sicherheit alle fünf Jahre bzw. ab einem Alter von 50 bzw. 60 Jahren alle drei Jahre weitere Auffrischimpfungen. Die WHO hält diese weiteren Auffrischungen eher für überflüssig, macht aber deutlich, dass bei jeder Bissverletzung (oder drgl.) in einem Land mit Tollwutrisiko noch zwei Impfungen an den Tagen 0 und 3 erfolgen sollten.

3. Wie oft führt ein Biss zur Erkrankung?

Das weiß niemand genau. Wenn in einem Land mit Tollwutrisiko ein relevanter Tierkontakt erfolgte, wird in der Regel vorsorglich geimpft. Um Ihre Frage zu beantworten, müsste man ein entsprechendes Experiment machen, bei dem z. B. jeder zweite keinen Impfschutz erhält. Das ist natürlich nicht möglich. Ich denke, man sollte davon ausgehen, dass jeder Biss eines tollwütigen Tieres zur Erkrankung führen kann, und daher impfen.

Mit freundlichen Grüßen

Dr. Jan Leidel

 

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10.09.2017, 07:18 Uhr
Antwort

Danke für die wirklich ausführliche Beratung :)

also ist es gar nicht mal so "ausgeschlossen" sich indirekt zu infizieren?

Ich habe mir da oft Gedanken darüber gemacht. Mir ist öfters so was ähnliches passiert, wie der Schwangeren Dame die von ihrer nichte gekratzt wurde bzw, die Kruste abgekratzt wurde In Serbien und die sich vorher an einem Treppengeländ festgehalten hat. Aber da sagen Sie auf einer Seite dass sie das Risiko ausschließen und definitiv keins sehen da  zu indirekt aber auf der anderen Seite raten Sie der Dame ihren Hausarzt zu konsultieren. 

ich besteige Berge, wandere sehr oft gerade in diesen Balkanländern, Italien usw. Sehr oft ist es mir passiert dass ich mich beim klettern am felsen verletze, dieses auch blutet. Und ich habe oft auch Wunden an den Händen, auch frische, bin im Ausland in der Natur unterwegs und greife auch Gegenstände im Freien an. Wie wäre es denn da wenn z.b. eine tollwütige Fledermaus oder ein Fuchs zufällig Tropfen Speichel verliert und ich mit meinen Wunden da reingreife aber Es so minimal ist dass ich nichts feuchtes spüre, könnte hier denn eine Infektion erfolgen? Oder ist dies zu indirekt?

Sie schreiben sehr oft den Leuten, was ich jetzt alles gelesen habe, indirekte Übertragungen gibt es nicht und sind nie vorgekommen. Was heißt für Sie indirekt?

und wieso raten Sie den Hausarzt zu konsultieren wenn Sie doch fast jedem sagen dass dies zu indirekt sei und da nichts passieren kann?

ich hoffe dies waren nicht zu viele Fragen, Danke und schönen Sonntag 

Experte-Leidel
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10.09.2017, 09:34 Uhr
Antwort von Experte-Leidel

Guten Tag MahNin,

eine Infektion mit Tollwut ist auf die Weise, über die Sie nachdenken, meines Wissens noch nie vorgekommen. Das schließt vielleicht nicht aus, dass es irgendwann einmal den ersten derartigen Fall durch Verknüpfung mehrerer unglücklicher Zufälle geben könnte. Ich versuche, vernünftig abzuwägen. Die Alternative könnte ja nur sein, immer - egal wie abstrus - eine postexpositionelle Prophylaxe zu empfehlen, die dann wohl regelmäßig von den Stellen, die diese durchführen müssten, abgelehnt würde. Das scheint mir irrational.

Auch den Hausarzt zu fragen, empfehle ich in manchen Fällen (und immer häufiger), weil ich als weit weg am Computer Sitzender, der nie alle Aspekte genau kennen und den jeweiligen Fragesteller kennen und einschätzen kann, nicht allein die Verantwortung tragen möchte.

Auch Ihnen einen schönen Sonntag

Dr. Jan Leidel

 

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10.09.2017, 11:47 Uhr
Antwort

Ok dann noch eine letzte Sache, für mein Wissen aber auch zur Beruhigung, stellt dieser indirekte Kontakt eine TollwutGefahr dar oder nicht? 

1.Kann ich mich infizieren wenn ich mit einer frischen Wunde an Speichel rankomme welcher irgendwo zufällig an einem gegenstand klebt? Egal ob von fledermaus oder Fuchs oder anderes Tier, wo auch mal Tollwut vorkommen kann. man weiß ja nie ob es frischer Speichel ist oder evtl schon länger haftet  

2.Kann ich mich infizieren wenn ich Speichel am Finger habe dann was esse und dies in meinen Mund gelangt?

3. ich habe gelesen dass Tollwutviren auch mal bis zu Tage infektiös im freien bleiben können. Aber wiederum lese ich auch, dass sobald der Speichel eingetrocknet ist, dieser nicht mehr infektiös ist. Speichel trocknet ja an der Luft sehr schnell ab. Was ist da nun richtig?

 

Experte-Leidel
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10.09.2017, 13:32 Uhr
Antwort von Experte-Leidel

Guten Tag MahNin,

es sind ja im Grunde immer wieder sehr ähnliche Fragen, die Sie mir stellen.

1. Das kommt u. a. darauf an,

  • ob es wirklich Speichel ist,
  • ob dieser Speichel von einem tollwutkranken Tier stammt,
  • ob der Speichel infektiöse Vien enthält,
  • ob Sie den Speichel so effektiv in die Wunde reiben, dass die Viren auch wirklich ins Gewebe gelangen.

   Wie gesagt, ein solcher Fall ist m. W. bislang nicht aufgetreten.

2. Eine Infektion über die Mundschleimhaut ist theoretisch möglich, wie man durch Laborversuche weiß. Aber natürlich nur, wenn die unter 1. aufgeführten Voraussetzungen vorliegen.

3. Die Dauer der Ansteckungsfähigkeit von Tollwutviren hängt von mehreren Faktoren ab:

  • Ausgangsmenge an Viren,
  • Temperatur (je höher, desto kürzer), bei 20 Grad (und Dunkelheit) ca. ein Tag, bei 50 Grad nur wenige Minuten,
  • von der Helligkeit: Tageslicht (UV-Strahlung) tötet die Viren rasch ab,
  • an Gras angetrocknet (sterile Laborbedingungen) weniger als 24 Stunden.

Alle offiziellen Empfehlungen sehen bei der von Ihnen genannten Situation keine Impfung vor.

Ich habe bis jetzt Ihre Fragen zu beantworten versucht, so gut mir das möglich war. Nunmehr würde ich diese "Diskussion" gerne beenden.

Mit freundlichen Grüßen

Dr. Jan Leidel

 

 

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10.09.2017, 14:40 Uhr
Antwort

Danke nochmal für alle Details. Alles Gute

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10.09.2017, 14:53 Uhr
Antwort

sorry ich wollte nicht mit Ihnen diskutieren. Es waren nur Dinge die mich interessieren da ich hier gelesen habe als sie einer fragestellerin gesagt haben: dass von zufällig irgendwo hinterlassenem speichel keine Gefahr ausgeht. 

Deswegen war ich mir auch sicher dass indirekt keine Übertragung stattfinden kann. Deswegen meine Frage ob indirekt eine übertragung stattfinden kann?!

ich danke Ihnen für alle informationen

 mahnin 

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11.09.2017, 11:11 Uhr
Kommentar von Community-Managerin

Guten Tag MahNin,

wie Herr Dr.Leidel Ihnen bereits geschrieben hat, sind alle Ihre Fragen in vollem Umfang beantwortet worden. Sollte Ihnen etwas unklar sein, lesen Sie bitte noch einmal die sehr ausführlichen Antworten unseres Experten.

Bitte haben Sie Verstädnis dafür das unser Experte nicht weiter auf Ihre Fragen eingehen wird.

Wir wünschen Ihnen alles Gute.

Viele Grüße

Victoria Martini

Lifeline - Community-Managerin

 

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