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Frage zu Tollwut nach Fledermauskontakt

Kategorie: Infektionen » Expertenrat Infektions- und Reisemedizin | Expertenfrage

24.06.2020 | 22:19 Uhr
Sehr geehrter Herr Dr. Leidel,
ich hatte Ende Oktober 2019 den ungewöhnlichen Zufall, von einem unbekannten Hund gebissen und vier Tage später  von einer Fledermaus im Bereich der Wange bzw. des Auges angeflogen worden zu sein. Nach dem Fledermauskontakt war keine Wunde sichtbar, ob Speichel des Tiers ins Auge gekommen sein könnte oder ein oberflächlicher Kratzer bestand, weiß ich nicht.
Aufgrund des unbekannten Impfstatus des Hundes erfolgte innerhalb 24 h eine PEP nach Essen- Schema und eine Berirabgabe. Der Fledermauskontakt ereignete sich dann am Tag der 2. Impfstoffgabe, also 4 Tage nach dem Hundebiss. Der nach dem Fledermauskontakt   konsultierte diensthabende Kollege meinte, man könne sowieso nichts mehr machen wegen der bereits erfolgten PEP und es gäbe keine Fledermaustollwut in Deutschland. Wobei letzteres ja anscheinend so nicht stimmt.
Die Berirabgabe erfolgte nach dem Hundebiss teilweise in die Hand um den Hundebiss herum und teilweise beabsichtigt i.m. in den Oberschenkel, wobei der laut eigener Angaben unerfahrene Kollege (ich bin selbst Medizinerin)mit ziemlicher Sicherheit ins subkutane Fettgewebe injiziert hat, da er lateral im Bereich des "Reiterhosenfettgewebes " im 45 Grad Winkel gestochen hat. 
Ich hatte mich zuvor nie mit Tollwut auseinandergesetzt, habe aber leider aufgrund dieser Ereignisse eine regelrecht panische  Angst entwickelt, dass die PEP wegen der inkorrekten Gabe des Igs nicht wirksam gewesen sein könnte und ich mich durch den Fledermauskontakt doch mit Tollwut infiziert zu haben. Zur subkutanen Gabe liegen laut Hersteller keine Studien vor und die Inkubationszeit wird  ja mit bis zu mehreren Jahren angegeben.Der Antikörpertiter wurde vor der letzten Impfdosis ca. vier Wochen  nach dem Hundebiss mit 1.8 Einheiten als schützend bestimmt, vor ca. 3 Monaten dann nochmals ein Titer von 2,3. Dennoch mache ich mir große Gedanken wegen der Latenzzeit zwischen dem Ereignis mit der Fledermaus und der aktiven Bildung von Antikörpern. Kann man davon ausgehen, dass, wenn bislang keine Symptome aufgetreten sind, die Impfung wirksam bzw. die Antikörperbildung rechtzeitig passierte?
 
Es kommt hinzu, dass meine Tochter zum Zeitpunkt der Ereignisse vier Wochen alt war und ich mir große Gedanken bzgl. einer möglichen Ansteckung des Babies mache. Ich kann das Risiko einer indirekten Infektion meiner Tochter nach dem Fledermauskontakt z.B. durch Berühren ggf. kontaminierte Hautstellen oder Gegenstände , z.B. Kleidung Viren, die ich unbewusst im Haus verteilt haben könnte. Gefühlt ist mittlerweile unser gesamtes Haus voller tödlicher Rabiesviren, ich traue mich nichts mehr anzufassen und  habe ebenfalls  große Sorge, meine Tochter durch mein Blut zu infizieren. Ich hatte von Fällen der Übertragung durch Organtransplantationen gelesen, aus den Berichten ging nicht hervor, ob die Spenderin vor ihrem Versterben bereits Tollwutsymptome gezeigt hatte. Sie sei an "Herzversagen" verstorben.
Die ständige (Todes)Angst um meine Tochter  und in zweiter Linie auch die Angst, selbst noch erkranken zu können, beeinträchtigt mich mittlerweile so sehr, dass ich mich in therapeutische Behandlung begeben musste, derzeit mit mäßigem Erfolg, da ich nicht weiß, inwieweit meine Ängste doch begründet sind. Die Kinderärztin hielt eine Impfung meiner Tochter für unnötig, kennt sich aber laut eigener Aussage nicht gut aus, was Tollwut betrifft.
Bitte sehen Sie mir den langen Text und eine ggf. übertriebene Sorge nach. Ich möchte einfach endlich wieder einen Tag ohne Tollwutangst erleben. Ich bitte Sie herzlich um Ihre Einschätzung der jeweiligen Gefahren.
 
Beste Grüße 

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Experte-Leidel
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25.06.2020, 11:31 Uhr
Antwort von Experte-Leidel

Guten Tag Tibia79,

beginnen wir mit dem Biss durch den unbekannten Hund, wobei ich davon ausgehe, dass dies in Deutschland oder einem der Nachbarländer geschah. Deutschland ist - ähnlich wie die europäischen Nachbarstaaten - seit 2008 als frei von Tollwut bei landlebenden Tieren zertifiziert. Eigentlich dürfte es es daher hier keine tollwütigen Hunde mehr geben. Aber natürlich gibt es das theoretische Risiko eines z. B. illegal importierten Tieres, das möglicherweise infiziert sein könnte.

Wenn Sie in der damaligen Situation den Besitzer des Hundes nicht ausfindig machen und nach der Herkunft fragen oder den Hund sicherstellen konnten, war es im Zweifel richtig, die PEP durchzuführen, obwohl die Wahrscheinlichkeit einer Infektion sicher sehr klein gewesen ist.

Die Durchführung nach Essen-Schema und Gabe von Tollwut-Immunglobulin (z. B. Berirab®) ist das Vorgehen der Wahl. Wahrscheinlich tun Sie dem Kollegen, der die Spritze setzte, etwas unrecht. Der M. vastus lateralis am seitlichen Oberschenkel ist ein durchaus gebräuchlicher Injektionsort. Der Winkel von 45 Grad ist nicht optimal, 60 bis 90  Grad wären besser gewesen, aber entscheidend ist auch die Länge der Kanüle. Und bei Frauen bis 90 kg Körpergewicht gelten 25 mm als ausreichend. Es ist richtig, dass der Hersteller auf fehlende Daten bei der s.c. Injektion hinweist. Gleichzeitig empfiehlt er aber auch eine s. c. Injektion z. B. bei einer Blutungsneigung.

Wie auch immer: Sie verfügen offenbar über einen schützenden Ak-Titer. Ab 0,5 IE besteht ein Schutz, die PEP hat also funktioniert.

Jetzt zur Fledermaus: Sie haben natürlich recht. Es gibt Fledermaus-TW in Deutschland, wenn auch eher selten. dabei besteht ein Gefälle zwischen der Norddeutschen Tiefebene (häufiger) und Süddeutschland (eher weniger). Derr direkte Kontakt einer Fledermaus mit offenen Wunden oder Schleimhäuten gilt als Grund für eine PEP. Aber diese wurde ja ohnehin bei Ihnen gerade durchgeführt und zwar mit sehr gutem Erfolg.

Also: Ja, es gibt (selten!) lange Inkubationszeiten. Aber wenn ein sehr guter Immunschutz vorhanden ist, kann sich natürlich eine Infektion nicht entwickeln. Es besteht bei Ihnen sicher kein Risiko.

Die Therapie von Zwangs- und Angstkrankheiten ist schwierig, aber "alternativlos", wie Frau Merkel sagen würde.

Mit freundlichen Grüßen

Dr. Jan Leidel

 

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25.06.2020, 13:55 Uhr
Antwort

Sehr geehrter Herr Dr. Leidel,

ich danke Ihnen herzlich für die Beantwortung meiner Fragen. Ja, die Therapie ist sicherlich unumgänglich. Es kommt bei mir erschwerend die Diagnose "Ärztin " hinzu, was das ganze nicht unbedingt einfacher macht ;)... Ich kann mir vorstellen, wie befremdlich solche Ängste wirken müssen,  wenn man sie als Experte hört. Als Betroffener sind sie qualvoll.

Mir hilft Ihre Einschätzung sehr, anzunehmen, dass meine Sorge,  doch noch zu erkranken, gering ist. Ich danke Ihnen von Herzen.

Bezüglich des Hundebisses habe ich mittlerweile kaum noch Angst. Zumindest ein kleiner Erfolg. Die Fledermaus macht mir Sorgen. Und da auch weniger die Sorge um mich als um mein Kind.

Darf ich Sie noch um Ihre Einschätzung bzgl. der Gefahr einer indirekten Infektion meiner Tochter  bitten? Meine Sorge diesbezüglich bezieht sich einmal auf den Zeitraum unmittelbar nach dem Fledermauskontakt und auch heute vermute ich an jeder Wand, auf jedem Boden noch Rabiesviren. Meine Tochter hat zwar nicht gleich die Kontaktstelle berührt, allerdings kam sie natürlich mit mir in Kontakt und ggf. auch mit Viren.Ich konnte zur Dauer der Infektiösität der Viren außerhalb des Wirts nur widersprüchliche Aussagen finden. Diese reichten von "mit der Antrocknung inaktiv" bis hin zu "mehreren Wochen" . Sogar von "Reaktivierung unter Laborbedingungen" war die Rede. Wasser auf meine Mühlen, weshalb ich nun auch nicht mehr selbst recherchiere. Die Kleine fängt nun an zu krabbeln und die Hand wandert natürlich gleich in den Mund. Wir können ja nicht das ganze Haus desinfizieren. Die zweite Sorge ist die Möglichkeit einer Ansteckung durch Körperflüssigkeiten, die ja wahrscheinlich durch den Antikörperschutz als nicht vorhanden einzustufen?

Das letzte, was ich möchte,  ist meine Tochter in meine Erkrankung mit rein zu ziehen, aber eben auch kein Risiko einzugehen, sie durch Tollwutviren zu gefährden.

Herzliche Grüße Stefanie Ott

Experte-Leidel
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25.06.2020, 15:24 Uhr
Antwort von Experte-Leidel

Guten Tag nochmal Tibia79,

ja, ich habe versäumt, auf Ihre Tochter einzugehen, entschuldigen Sie bitte.

Solche sehr indirekten Kontakte verursachen keine Infektion. Es muss schon der unmittelbare Kontakt mit Speichel erfolgen, z.B. durch Belecken oder durch die direkte unmittelbare Berührung mit dem Tier.

Unabhängig davon sind Raviesviren als sog. "umhüllte" Viren in der Umwelt sehr wenig stabil, wobei das mit den Umgebungsbedingungen (Temperatur, UV-Einstrahlung usw.) etwas variiert. Aber ich kenne keinen Fall, in dem es durch solche indirekten Kontakte zu einer Infektion gekommen wäre.

Mit freundlichen Grüßen

Dr. Jan Leidel

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26.06.2020, 13:56 Uhr
Antwort

Guten Tag,  Herr Dr. Leidel,

ich danke Ihnen herzlich für Ihre wertvolle und geduldige Beantwortung meiner Fragen. Sie haben mir sehr weiter geholfen.

 

Beste Grüße 

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