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Kurzdramsyndrom und Kachexie

Kategorie: Innere Medizin » Expertenrat Innere Medizin | Expertenfrage

25.02.2025 | 13:18 Uhr

Liebes Expertenteam, 

meine Mutter (80) hatte 2001 Darmkrebs im Dickdarm, es wurde ein ganzes Stück Darm damals entnommen, anschließend Bestrahlung und Chemptherapie. Da sie Strahlenschäden im Darm zurückbehalten hat und seitdem unter dauerhaften Schmerzen leidet, hatte sie 2021 eine Operation als Behandlunsgvorschlag erhalten, bei dem evtl.vorhandene Verklebungen an Darmschlingen entfernt werden sollten. 

Das ist leider gründlich schiefgegangen, meine Mutter hatte einige Tage nach dieser OP einen kompletten Darmverschluß im Dünndarm, der leider auch nicht rechzeitig erkannt wurde. Ihr wurde ein großes Stück Dünndarm, der abgestorben war im Zuge des Darmverschluß, entfernt werden. Nun hat sie knapp über 1 m Rest-Dünndarm und erhebliche Probleme mit der Verdauung (Durchfälle), weiterhin Schmerzen und war in den letzten Monaten 4-mal im Krankenhaus wegen eines neuerlichen Darmverschlußes. 

Zudem nimmt sie immer mehr ab, aktuell hat sie 43 kg bei einer Größe von 1,68 m. Und ist entsprechend so geschwächt, dass sie kaum noch aus dem Haus gehen kann. In jedem Entlassungsbericht aus dem Krankenhaus wird Kachexie angegeben. Es wird jedoch nichts unternommen oder angeboten, was z.B. eine künstliche Ernährung für eine Zeitlang angeht, damit sie wieder an Gewicht und damit an Kraft zunehmen kann. 

Haben Sie einen Tipp für uns, wie wir vorgehen können, wenn wir eine künstliche Ernährung für meine Mutter in Erwägung ziehen wollen? Im Krankenhaus sagte man Ihr, dass sie nicht wochenlang ein Krankenbett blockieren könne, um sich künstlich ernähren zu lassen. Gibt es hier Optionen, dass die z.B. über einen Pflegedienst auch zuhause erfolgen kann? Und wie wäre das procedere, um dies zu beantragen. 

Danke Ihnen sehr für Ihr Feedback und viele Grüße

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Bisherige Antworten
Lifeline Gesundheitsteam
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28.02.2025, 13:36 Uhr
Antwort von Lifeline Gesundheitsteam

Hallo,

die Situation Ihrer Mutter klingt äußerst belastend, und wir verstehen sehr gut, dass Sie sich Sorgen machen. Die anhaltende Kachexie (starker Gewichtsverlust und Muskelabbau), die Verdauungsprobleme und die wiederholten Krankenhausaufenthalte deuten darauf hin, dass dringend eine Ernährungsintervention notwendig ist.

1. Möglichkeiten der künstlichen Ernährung für Ihre Mutter

Angesichts des kurzen Dünndarms und der wiederholten Darmverschlüsse kommen verschiedene Optionen in Betracht:

Hochkalorische Trinknahrung (enterale Ernährung) – Erster Schritt
Falls Ihre Mutter noch Nahrung oral zu sich nehmen kann, sollten hochkalorische Trinknahrungen verordnet werden. Diese sind über den Hausarzt auf Rezept erhältlich und können von der Krankenkasse übernommen werden. Falls sie bereits Trinknahrung versucht hat und nicht genug Kalorien aufnimmt, wäre eine weitere Maßnahme nötig.

Ernährung über eine Magensonde (PEG oder nasogastrale Sonde)
Falls Ihre Mutter nicht mehr ausreichend essen kann, könnte eine PEG-Sonde (Perkutane endoskopische Gastrostomie) in Betracht gezogen werden. Diese wird direkt durch die Bauchdecke in den Magen gelegt und ermöglicht eine kontinuierliche Nahrungszufuhr, ohne dass der Darm belastet wird. Eine nasogastrale Sonde (über die Nase in den Magen) wäre eine Alternative für eine kurzfristige Ernährung, wird aber in der Regel nur vorübergehend eingesetzt. Beides sind jedoch relativ invasive Maßnahmen. 

Parenterale Ernährung (über eine Vene – bei stark verkürztem Darm sinnvoll). Da Ihre Mutter nur noch ca. 1 m Dünndarm hat, kann eine parenterale Ernährung (über die Vene) sinnvoll sein. Diese wird entweder teilweise oder vollständig durchgeführt, wenn eine normale Verdauung nicht mehr ausreicht. Diese kann auch zu Hause erfolgen – über eine "Heimparenterale Ernährung (HPN)", die mit einem spezialisierten Pflegedienst organisiert werden kann.

2. Wie können Sie eine künstliche Ernährung beantragen?

Hausarzt oder Gastroenterologen kontaktieren: Bitten Sie den behandelnden Arzt um eine Überweisung zu einem Spezialisten für künstliche Ernährung oder einem Ernährungsmediziner. Die Entscheidung über die beste Form der Ernährung (Sonde oder Infusion) wird von einem Facharzt getroffen.

Antrag bei der Krankenkasse stellen: Falls eine parenterale Ernährung oder eine PEG-Sonde notwendig ist, muss dies über den Arzt beantragt werden. In der Regel wird dies als "Heimparenterale Ernährung" (HPN) über einen spezialisierten Pflegedienst organisiert und von der Krankenkasse übernommen.

Kontakt zu einem spezialisierten Homecare-Unternehmen: Es gibt Anbieter wie z. B. Fresenius Kabi, B. Braun oder Nutricia, die sich auf Heimparenterale Ernährung spezialisiert haben. Diese arbeiten oft mit Ärzten zusammen und helfen bei der Organisation von Pflegekräften.

Ggf. eine Krankenhausbehandlung fordern: Falls Ihre Mutter so stark abnimmt, dass eine akute Lebensgefahr besteht, kann eine vorübergehende stationäre Ernährung in einer Klinik mit Ernährungsmedizin sinnvoll sein. Falls ein Krankenhaus dies ablehnt, kann es helfen, sich an eine Uniklinik oder eine spezialisierte Klinik für Ernährungsmedizin zu wenden.

3. Welche Option wäre am besten für Ihre Mutter?

Falls sie noch essen kann, aber zu wenig Kalorien aufnimmt: Hochkalorische Trinknahrung auf Rezept. Falls das nicht reicht: PEG-Sonde oder parenterale Ernährung (je nach Verträglichkeit). Falls eine parenterale Ernährung notwendig ist: Heimparenterale Ernährung über einen spezialisierten Pflegedienst. Dringend fachärztliche Abklärung durch einen Gastroenterologen oder Ernährungsmediziner.

4. Nächste Schritte für Sie

Hausarzt kontaktieren und auf eine Überweisung zu einem Ernährungsmediziner oder Gastroenterologen bestehen. Mit der Krankenkasse sprechen, ob eine parenterale Ernährung für zu Hause genehmigt werden kann. Falls nötig, eine zweite Meinung in einer Uniklinik oder spezialisierten Klinik einholen. 

Wir wünschen Ihnen und Ihrer Mutter viel Kraft und hoffen, dass Sie bald die passende Unterstützung erhalten - Ihr Lifeline Gesundheitteam

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28.02.2025, 20:04 Uhr
Kommentar

Liebes Gesundheitsteam, 

vielen, vielen Dank für Ihre Ratschläge, die ich mit meinen Eltern besprechen werde. 

Bislang haben wir eine derartige Beratung von keinem der Ärzte im Krankenhaus oder außerhalb bekommen kann. 

Das ist wirklich toll, vielen Dank für Ihren Einsatz, und liebe Grüße

 

 

Lifeline Gesundheitsteam
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01.03.2025, 14:24 Uhr
Antwort von Lifeline Gesundheitsteam

Hallo,

leider kann das Gesundheitsheitsystem hier manchmal etwas undurchsichtig sein und die Wege sind nicht immer vollkommen klar. 

Es freut uns, dass wir Ihnen helfen konnten.

Ihr Lifeline Gesundheitsteam

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01.03.2025, 15:34 Uhr
Antwort

Das ist wohl so, mir erschließt sich nicht, wie man eine Frau, die so offensichtlich deutlich unterernährt ist, in den letzten Monaten 4 mal aus dem Krankenhaus entlassen, ohne eine Empfehlung der Behandlung der Unterernährung. 

Meine Eltern haben am Dienstag einen Termin bei einem Gastroenterologen, die Infos von Ihnen wurden ausgedruckt, mitgenommen und angesprochen. Das kam also, ohne dass ich es wusste, dass es diesen konkreten Termin gibt, genau zur richtigen Zeit. Vielen Dank! 

Lifeline Gesundheitsteam
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15.03.2025, 10:21 Uhr
Antwort von Lifeline Gesundheitsteam

Hallo,

Es freut mich sehr zu hören, dass die Informationen genau zur richtigen Zeit kamen und dass Ihre Eltern nun einen Termin beim Gastroenterologen haben.

Die Tatsache, dass Ihre Mutter mehrfach aus dem Krankenhaus entlassen wurde, ohne eine gezielte Ernährungsstrategie, ist wirklich besorgniserregend. Leider passiert es oft, dass das Problem der Mangelernährung und Kachexie gerade bei älteren Patienten unterschätzt wird, obwohl es entscheidend für die Lebensqualität und den allgemeinen Gesundheitszustand ist.

Es ist gut, dass Sie das Thema aktiv angehen. Der Gastroenterologe kann nun hoffentlich eine individuell abgestimmte Ernährungstherapie oder sogar eine künstliche Ernährung (z. B. parenteral oder enteral über eine PEG-Sonde) in die Wege leiten. Falls die Praxis nicht proaktiv eine Lösung anbietet, sollten Sie darauf bestehen, dass eine konkrete Maßnahme zur Gewichtsstabilisierung ergriffen wird.

Falls nach dem Termin noch offene Fragen bleiben oder weitere Unterstützung benötigt wird, können wir gerne weiter darüber sprechen.

Ihr Lifeline Gesundheitsteam

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15.03.2025, 12:23 Uhr
Antwort

Vielen lieben Dank für Ihr Feedback und Ihren Support!

Der Termin beim Gastroenterlogen war leider erneut ernüchternd. Er wäre "kein Freund der künstlichen Ernährung". Meine Mutter soll es nun erst einmal mit der hochkalorischen Ernährung versuchen. Für 2 Monate 2 mal täglich. Ob das bei 43 Kilo tatsächlich ein Game Changer sein wird, wenn sie sonst weiterhin sehr wenig isst, aus Angst vor einem neuerlichen Darmverschluß, wird sich zeigen. 

Zumal ist Ihr Schmerzpegel weiterhin sehr hoch, sie nimmt seit fast 25 Jahre Tramadol dagegen, was immer weniger ausreicht. EIne Umstellung auf ein anderes, stärkeres Schmerzmittel wird nur möglich sein, wenn meine Mutter ein höheres Gewicht auf die Waage bringt laut Ihrer Schmerztherapeutin. 

Meine Eltern sind nun leider noch die Generation "der Arzt hat immer recht" und hinterfragen Gesprächsergebnisse nicht. 

Wir als Töchter müssen uns da mehr einbringen und bei den Gesprächen dabei sein, haben wir uns vorgenommen. 

 

Lifeline Gesundheitsteam
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20.03.2025, 11:47 Uhr
Antwort von Lifeline Gesundheitsteam

Hallo,

Wir verstehen sehr gut, dass der Termin beim Gastroenterologen für Sie und Ihre Familie enttäuschend war. Es ist schwierig, wenn man sich eine konkrete Unterstützung erhofft und dann auf eine eher abwartende Haltung trifft – vor allem, wenn das aktuelle Gewicht Ihrer Mutter bereits so niedrig ist und die Ernährungssituation offensichtlich kritisch bleibt.

Die Empfehlung, hochkalorische Nahrung für zwei Monate zu versuchen, kann ein sinnvoller erster Schritt sein, hier wäre es wichtig, dass engmaschig kontrolliert wird, ob tatsächlich eine Gewichtszunahme stattfindet. Falls nicht, sollte eine künstliche Ernährung trotz der Skepsis des Arztes erneut thematisiert werden. Der Vorteil einer "normalen" Nahrungsaufnahme ist, dass es nicht invasiv ist wie z.B. eine Magensonde und es bei der intravenösen Ernährung zum Aushungern des Darmes kommt.

Besonders problematisch ist die Schmerzproblematik. Wenn Ihre Mutter seit 25 Jahren Tramadol nimmt und es zunehmend nicht mehr ausreicht, ist eine Anpassung der Schmerztherapie dringend notwendig. Hier könnte es helfen, eine Zweitmeinung von einem anderen Schmerztherapeuten einzuholen, falls Ihre Mutter offen dafür ist.

Dass Sie als Töchter sich stärker einbringen möchten, ist eine sehr gute Entscheidung. Gerade in solchen Situationen ist es wichtig, dass Angehörige als Sprachrohr agieren, kritische Fragen stellen und darauf bestehen, dass eine individuelle Lösung gefunden wird. 

Vielleicht wäre es auch hilfreich, einen Hausarzt oder eine palliativmedizinische Fachkraft hinzuzuziehen, die sich mit Ernährungs- und Schmerzmanagement bei stark geschwächten Patienten auskennt. 

Es ist bewundernswert, dass Sie sich so für Ihre Mutter einsetzen. Es wird vermutlich nicht einfach sein, aber Sie sind auf dem richtigen Weg, indem Sie die Gespräche aktiv begleiten und sich nicht mit vagen Empfehlungen zufriedengeben. Bleiben Sie dran und lassen Sie sich nicht entmutigen – manchmal braucht es mehrere Anläufe, bis die richtige Unterstützung gefunden wird.

Wir wünschen Ihnen und Ihrer Familie viel Kraft und hoffen, dass bald eine wirksame Lösung gefunden wird – Ihr Lifeline Gesundheitsteam

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