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Tollwut (übertriebene Ängste)

Kategorie: Infektionen » Expertenrat Infektions- und Reisemedizin | Expertenfrage

13.04.2017 | 13:09 Uhr

Sehr geehrter Experte, ich leide seit 2008 mit Unterbrechungen an einer Zwangsstörung. Der Zwang versucht sich derzeit bei der Tollwut-Thematik festzusetzen. Ist für diesen ja ein dankbares Thema, da unterschiedliche und vor allem längere Inkubationszeit und tödlich. Wie dem auch sei, ich würde ganz gerne wieder normal nach draußen können, ohne beim Anblick eines Hundes in Panik auszubrechen.

Es wäre daher wirklich sehr nett, wenn Sie die folgenden Fragen beantworten könnten, damit mir mein Kopf auch mal glaubt.

1. Tollwut wird hauptsächlich über Bisse und Kratzer übertragen. Auch durch das Belecken von Wunden oder der Schleimhäute ist eine Infektion möglich. Stimmt das soweit? Ist eine Infektion auch denkbar, wenn ein tollwütiges Tier sich neben einem schüttelt und Speichel auf verletzte Hautpartien (bspw rissige Hände, Schürfwunde) oder ins Auge, auf den Mund etc fliegt? Oder wäre hier die Viruslast nicht ausreichend?

2. Muss man sich daher nur Gedanken machen wenn man gebissen oder gekratzt wird oder Wunden/Schleimhäute aktiv beleckt werden? 

3. Eine indirekte Übertragung der Viren in Wunden oder auf Schleimhäute von bspw vollgespwichelten Kleidungsstücke, Oberfächen, Gegenstände ist außer unter Laborbedingungen nicht möglich. Stimmt das auch? Zählt das auch für die Konstelation infektiöser Speichel ist auf die Hand getropft (sich schüttelnder Hund-Szenario) und man fasst sich danach in die Nase oder in die Augen? Oder wenn bspw. ein Stock voller Speichel ist und man diesen anfasst?

4. Muss man sich vor Tollwut (von der Fledermaustollwut abgesehen) durch Hunde oder Katzen in Deutschland nicht fürchten? Meine Sorge bezieht sich auf nicht geimpfte und/oder importierte Hunde/Katzen... Bzw sind Ängste frühestens bei einem Biss, Kratzer oder Belecken einer Wunde/Schleimhäute angebracht und nicht wenn ein Hund/Katze jmd streift oder man ggf Speicheltropfen abbekommt? Auch vor abgeleckten Gegebständen muss man hier dann keine Angst haben? 

Ich bitte den Roman zu entschuldige, aber ich wollte alle meine Fragen und etwaige Rückfragen unterbringen, damit der Zwang sich dann etwas Neues suchen kann (bis ich ihn wieder im Griff habe) und ich wieder raus kann. 

Ich bedanke mich bereits jetzt für Ihre Zeit und und die Antworten und hoffe Sie mit diesen allgemeinen Fragen zu Tollwut nicht allzu sehr genervt zu haben.

Mit freundlichen Grüßen 

Trinchen

 

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Experte-Leidel
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14.04.2017, 20:33 Uhr
Antwort von Experte-Leidel

Guten Tag Trinchen,

ja, das Thema Tollwut spielt bei Menschen mit einer Zwangs- bzw. Angststörung oft eine sehr große Rolle, die sachlich überhaupt nicht gerechtfertigt ist. Ich will versuchen, Ihre Fragen zu beantworten, und hoffe, dass Sie Ihren Kopf damit überzeugen lönnen.

  1. Bei einem an Tollwut erkrankten Tier finden sich in den letzten Tagen vor dem Tod des Tieres die Viren im Speichel. Dort, wo Tollwut noch bei landlebenden Tieren vorkommt, ist eine Bissverletzung die mit Abstand wichtigste und häufigste Ursache für die Infektion eines Menschen. Auch durch Kratzwunden und durch das Belecken von Wunden oder Schleimhäuten ist eine Ansteckung möglich, jedoch deutlich seltener. Eine Infektion durch Speichel, der beim Sich-Schütteln des Tieres in eine Wunde oder auf die Schleimhaut des Auges oder Mundes gelangt, ist meines Wissens bisher nicht beobachtet worden. Ich halte eine solche Übertragung für außerordentlich unwahrscheinlich.
  2. Ja!
  3. Indirekte Übertragungen wie in den von Ihnen genannten Beispielen sind ebenfalls so gut wie ausgeschlossen. Die Viren müssen wirklich in genügender Menge aktiv (Biss, Belecken) in das Körpergewebe gelangen. Viren können sich nicht selbst fortbewegen und in den Körper eindringen.
  4. Deutschland wurde im September 2008 offiziell als "frei von klassischer Tollwut" (also Tollwut bei landlebenden Tieren) zertifiziert. Seitdem besteht kein Infektionsrisiko mehr durch Wildtiere. Auch Haustiere wie Hunde und Katzen sind in Deutschland tollwutfrei, egal, ob diese geimpft sind oder nicht. Es gibt sehr strenge Regeln hinsichtlich des Imports von Hunden, Katzen usw. aus dem Ausland. Diese scheinen auch zu funktionieren, denn zumindest seit 2008 sind hier keine Tollwutfälle durch solche Haustiere bekannt geworden.
  5. Durch das Berühren eines Tieres wird die Tollwut nicht übertragen, und die indirekte Übertragung durch mit Speichel benetzte Gegenstände oder drgl. ist - wie unter 3. ausgeführt - praktisch ausgeschlossen.

Fledermäuse können in Deutschland weiterhin die Tollwut übertragen. Allerdings sind solche Fälle ganz außerordentlich selten. Der letzte mir bekannte Fall  stammt aus dem Jahr 2010. Damals hatte eine Frau eine hilflos am Boden flatternde Fledermaus aufgehoben, um ihr zu helfen. Dabei hat die Fledermaus diese Frau nin die Hand gebissen. Kurz danach ist die Fledermaus an Tollwut gestorben. Die Frau bekam eine entsprechende Impfung, ihr ist nichts geschehen. Fledermäuse sind übrigens sehr scheue Tiere und meiden Menschen.

A propos Impfen. Haben Sie einmal darüber nachgedacht, ob Sie Ihren Kopf nicht vielleicht dadurch beruhigen könnten, dass Sie sich einfach vorbeugend impfen lassen. Das müssten Sie möglicherweise selbst bezahlen, wenn es dem Arzt bzw. der Ärztin nicht gelingt, die Impfung als Behandlung der Zwangsstörung zu begründen. Aber für den Kopf wäre das vielleicht doch eine Hilfe.

Ich wünsche Ihnen gute Ostertage und dass Sie Ihren Zwang überzeugen und beruhigen können.

Mit freundlichen Grüßen

Dr. Jan Leidel

 

 

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18.04.2017, 08:13 Uhr
Antwort

Sehr geehrter Herr Dr. Leidel,

vielen Dank für die schnelle Beantwortung meiner Fragen. Das hat mir bereits wirklich geholfen.

 

Eine Rückfrage hätte ich nun aber doch noch, da es gestern leider eineN Kontakt mit einem fremden Hubd gegeben hat... 

1. Muss ich mir Sorgen bzgl. Tollwut machen, wenn ich in Deutschland ein fremder Hund anspringt und mich hierbei evtl. kratzt? Muss ich aufgrund dessen den Tierhalter fragen ob der Hund geimpft ist und wie lange das schon her ist?

2. Ginge man hier von dem worst case aus (Hund hat TW) und springt an Hose hoch und berührt die Hose mit den Pfoten, ist es ausreichend die Hose auszuziehen und erst einmal 1 - 2 Tage zur Seite zu legen, damit evtl vorhandener Speichel abtrocknet? Sind Gegenstände die die Hose direkt nach dem Anspringen berührt haben unbedenklich?

3. Gilt dass auch dafür, wenn beim Säubern (abwasche) von diesem Spitzwasser auf Lippen/in den Mund und die Augen spritzt?

4. Ist das Szenario vergleichbar wir das 'Hund schüttelt sich' Szenario?

Ich bin mir etwas unsicher, wegen der potentiellen Übertragung durch Kratzer. Daher frage ich nochmal nach.

Ich bedanke mich bereits im Voraus für Ihre Zeit und Ihre Antwort.

Dem Thema Tollwut-Impfung steht meine Hausärztin kritisch gegenüber. Hatte Sie bereits vor Jahren gefragt ob eine Inpfung bei einer Reise nach Mayotte notwendig sei. Sie meinte Kosten-Nutzen-Risiko-Abwägung spreche gegen eine Impfung. Da ich derzeit nur in Deutschland bin und die nächste geplante Reise nach Portugal gehen soll, denke ich nicht, dass sich an ihrer Einstellung etwas geändert hat. Aber ich werde erneut nachfragen. Danke für den Hinweis :)

Viele Grüße 

Trinchen

Experte-Leidel
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18.04.2017, 12:40 Uhr
Antwort von Experte-Leidel

Guten Tag Trinchen,

es geht Ihnen offenbar noch viel schlechter, als ich zunächst dachte. Eigentlich können Sie die Antworten auf Ihre Fragen aus meiner letzten Antwort weitestgehend entnehmen.

1. Nein, es gibt hier keine tollwutkranken Hunde (auf die extrem unwahrscheinliche Situation, dass ein infizierter Hund illegal hat eingeführt werden können, bin ich in meiner ersten Antwort eingegangen). Dass ein Hund jemanden spielerisch anspringt, ist normal und kein Zeichen seiner schweren Tollwutkrankheit. Ansteckend ist der Speichel erst wenige Tage vor dem Tod des Tieres, wenn dieses bereits schwer krank ist.

2. Nein!

3. Ja, das gilt auch dann!

4. Ja, ein Kratzer durch einen gesunden Hund überträgt keine Tollwut! Die Übertragung gilt für tiefe Kratzverletzungen eines todkranken Tieres.

Dass eine Tollwutimpfung bei Ihnen nicht wegen eines tatsächlichen Infektionsrisikos sinnvoll wäre, ist ja klar. Und in diesem Sinne wäre die Impfung bei Ihnen auch gar nicht angezeigt. Aber ich hatte mir überlegt, dass diese Impfung Ihre Angst vielleicht auf ein weniger einschneidendes Thema lenken könnte. Und eine Zwangsstörung mit schweren Ängsten ist auch eine schlimme Krankheit. Und wenn die Impfung helfen könnte, würde ich darüber nachdenken.

Mit freundlichen Grüßen

Dr. Jan Leidel

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18.04.2017, 17:29 Uhr
Antwort

Sehr geehrter Herr Dr. Leidel,

vielen Dank für die schnelle Beantwortung meiner Fragen. Sie haben mir wirklich geholfen.

Das mit der Impfung werde ich nochmals ansprechen. 

Viele Grüße 

Trinchen

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24.04.2017, 13:44 Uhr
Antwort

Guten Tag Herr Dr. Leidel,

leider  ich nochmal zwecks Tollwut nachfrage. Gestern waren mein Mann und ich spazieren und sind auf Teile einer toten Maus getreten. Die Maus war augenscheinlich noch nicht lange tot. Wir sind dann ins Gras und haben die Schuhe etwas abgestreift. Dennoch habe ich Bedenken, dass Mausreste in die Wohnung gelangt sein könnten. Ich weiß Sie haben oben geschriebe, dass bei Wildtieren keine Tollwutgefahr besteht, aber zählen hierzu auch Mäuse? 

Und sollte die Maus doch TW gehabt haben, wir reingetreten sein und evtl etwas an die Hose gespritzt etc und das jetzt in der Wohnung sein, wäre das ja auch wieder ein indirekter Kontakt von dem kein Infektionsrisiko ausgeht. Das stimmt doch oder?

Entschuldigen Sie das nochmalige Nachfragen, aber mein Kopf lässt mir keine Ruhe. Ich nehme übrigens inzwischen Medikament, die wirken aber wohl noch nicht ausreichend. Ich bin aber dran, dass in den Griff zu bekommen. 

Vielen Dank bereits vorab.

Viele Grüße 

Trinchen

 

Experte-Leidel
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24.04.2017, 14:02 Uhr
Antwort von Experte-Leidel

Guten Tag Trinchen,

ja, auch Mäuse haben derzeit in Deutschland keine Tollwut. Und von Resten der toten Maus - ob an die Hose gespritzt oder in die Wohnung getragen - geht keinerlei TW-Gefahr aus.

Ich wünsche Ihnen, dass die Medikamente wirken. Wahrscheinlich werden Sie aber auch eine verständnisvolle Therapeutin oder einen entsprechenden Therapeuten benötigen.

Mit freundlichen Grüßen

Dr. Jan Leidel

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