Avatar

Infektiöses Blut und Kälte

Kategorie: Infektionen » Expertenrat Infektions- und Reisemedizin | Expertenfrage

13.12.2022 | 12:33 Uhr

Sehr geehrter Dr. Leidel,

die Angst vor HIV und Hepatitis C begleitet mich bereits mein halbes Leben lang, trotz Therapie. Es gibt viele Dinge, an denen ich arbeiten konnte, aber ich merke, dass manche Situationen mich regelrecht verfolgen. Dies ist mein dritter Beitrag in fünf Jahren in diesem Forum und für mich wirklich das letzte Mittel der Wahl, wenn mich die Angst gar nicht mehr loslässt und mich in meinem Leben enorm behindert.

Der Hintergrund meiner Frage hat mit einem Vorfall in der Nähe meiner Heimatstadt zu tun, bei dem ein Mann auf offener Straße erschossen wurde. Das allein ist schon schlimm genug und löst bei mir Trauer und Wut aus. Hinzu kommen an der Stelle aber auch meine Ängste, da das Opfer laut Medien drogensüchtig, offenbar heroinabhängig, war und allgemein viel im Drogenmilieu agierte. Leider gehen in dem Zusammenhang dann bei mir sofort alle Alarmglocken an, da es sich bei Drogenabhängigen um eine Risikogruppe in Bezug auf die beiden Krankheiten, die mich so ängstigen, handelt. Für Nicht-Angstpatienten klingt meine Frage wohl sehr weit hergeholt, für mich sind es allerdings total "logische" Gedankenketten, die entstehen.

Auf den Bildern der Medien war nämlich sehr deutlich zu sehen, dass der Mann auf einem engen Bürgersteig zwischen geparkten Fahrrädern und Autos lief, als der Kopfschuss ihn erwischte. Ich denke dann sofort darüber nach, dass durch den Ein- und möglicherweise Austritt der Kugel sein Blut nicht nur auf dem Boden, sondern mit Sicherheit auch auf den parkenden Autos und Rädern um ihn herum gelandet ist (es lagen wirklich nur Zentimeter zwischen ihm und den parkenden Autos/Rädern). Dieser Gedanke lähmt mich aktuell extrem, da ich dadurch überall Gefahr sehe. Was, wenn das Blut in Anbetracht seiner Drogenabhängigkeit infektiös ist und die Anwohner nun mit den "kontaminierten" Autos/Rädern umherfahren und beim Ein-und Aussteigen bzw. Aufsteigen unbewusst auf das Blut fassen (was vielleicht kaum sichtbar ist)? Ich traue mich kaum noch aus dem Haus, weil diese Autos/Räder für mich wie wandelnde Gefahrenquellen sind und ich natürlich nicht einschätzen kann, wo die Anwohner damit hinfahren. Sie könnten dann ja ständig mit dem an ihrem Fortbewegungsmittel haftenden Blut, zB an der Autotür oder auf dem Lenker in Berührung kommen und dann im Anschluss mit den "kontaminierten" Händen einkaufen gehen, auf den Weihnachtsmarkt etc. 

Es ist schwierig zu formulieren, was in meinem Kopf leider so "logisch" erscheint. Letztendlich dreht sich die Angst um die Frage, ob HIV/Hepatitis C-Viren auf oder in Autos oder an Rädern überleben können. Denn ich weiß, dass diese Viren laut RKI "je nach Umgebungstemperatur tagelang infektiös" bleiben können. Was mich in dem Zusammenhang besonders ängstigt, ist, dass der Vorfall zwar schon über eine Woche her ist, aber draußen Temperaturen um den Gefrierpunkt herrschen. Und im Internet stoße ich immer wieder auf die Information, dass diese Viren in der Kälte länger infektiös bleiben können. Würde die Angabe "tagelang" (statt Wochen/Monaten) dann überhaupt noch gelten? Auch sind Autos aufgrund des Wetters aktuell ständig nass von außen, sodass ich nicht weiß, wie anhaftendes, potentiell infektiöses Blut auf diese Weise wirklich trocknen kann. Und selbst getrocknetes Blut kann meines Wissens noch infektiös bleiben. Mir ist klar, dass dieses Blut natürlich auch erst einmal eine Eintrittspforte finden müsste. Aber allein der Gedanke, dass Autos mit möglicherweise infektiösem Blut umherfahren, ängstigt und lähmt mich enorm. Dadurch könnte sich dieses Blut für mich potenziell überall "verbreiten", wo die Fahrer dieser Autos hinkommen. 

Vielen Dank, dass Sie versuchen, meinem Gedankengang zu folgen. Natürlich können Sie die Ängste nicht wegzaubern, aber ich denke, dass viele Angstpatienten hier dank Ihrer Hilfe wieder ein Stück Sicherheit und Beruhigung erlangen und wieder "alltagsfähiger" werden. Für diese Möglichkeit möchte ich mich wirklich bedanken.

Helfen Sie mit Ihrer Bewertung: Ja, dieses Thema ist hilfreich!

0
Bisherige Antworten
Experte-Leidel
Beitrag melden
13.12.2022, 18:00 Uhr
Antwort von Experte-Leidel

Guten Abend,

Sie sollten die "Alarmglocken" rasch wieder abstellen. 

Auf die von Ihnen befürchtete Weise können HIV und HCV nicht wirklich übertragen werden. 

Das RKI schreibt z. B. tatsächlich, dass HIV, je nach Umgebungsbedingungen auch außerhalb des Körpers seine Infektiosität noch tagelang behalten kann. Und weiter:

"Für die Frage der Ansteckungsmöglichkeiten ist dies im Alltag aber meist wenig relevant, da in der Regel keine geeignete Eintrittspforte für das Virus mehr besteht. Dies gilt auch für Blut oder Sperma an Gegenständen. Sobald potentiell infektiöse Körperflüssigkeiten angetrocknet sind, besteht in der Regel keine Möglichkeit einer Infektionsübertragung mehr."

Und weiter: "Der blosse Hautkontakt, auch der flüchtige Kontakt mit verletzter Haut, erlaubt kein Eindringen des Virus in den Körper." 

Also: Ich sehe überhaupt keine Möglichkeit, wie eine entsprechende Infektion hätte stattfinden können.

Mit freundlichen Grüßen

Dr. Jan Leidel

Beitrag melden
20.12.2022, 09:56 Uhr
Kommentar

Sehr geehrter Dr. Leidel,

vielen Dank für Ihre Antwort. Ihre Aussage, dass eine Infektion vor dem Hintergrund meiner Schilderung nicht möglich ist, beruhigt mich grunsätzlich erst einmal. Die von Ihnen zitierten Sätze von der Seite des RKI sind mir bekannt, die meisten Infoseiten kenne ich nach Jahren der Angst wohl fast auswendig. Daher erwähnte ich auch, dass mir bewusst ist, dass es auch eine Eintrittspforte benötigt. Aber in meinem Kopf wäre die schon gegeben, wenn ich irgendwie direkt oder indirekt mit infektiösem Blut in Berührung käme und anschließend an eine Schleimhaut von mir fasse.

Für mich stellte sich daher vor allem die oben genannte Frage, inwiefern infektiöses Blut in der Umwelt überleben kann, in diesem Fall an oder in einem Fahrzeug. Vor dem Hintergrund dass, wie aktuell, ständig Minusgrade draußen herrschen und Autos häufig nass werden durch Regen oder Tau. Daran anhanftendes Blut würde dann ja ständig wieder nass werden und durch die Kälte vielleicht auch länger infektiös bleiben als "tagelang" (RKI)? Oder ist das auch unter diesen Bedingungen durch die wechselnden Witterungsbedingungen und Temperaturwechsel etc. nicht möglich? Der Vorfall liegt nun knapp einen Monat zurück, aber der Gedanke, dass Viren in dem Blut aufgrund der winterlichen Temperaturen immer noch aktiv sein könnten, zermürbt mich. Und dieses Blut an oder in den Fahrzeugen "kursiert". Auch wenn mir bewusst ist, dass dieses Blut es dann schwer hätte, in meinen Körper zu gelangen.

Ich wünsche Ihnen bereits schöne, erholsame Weihnachtstage.

Experte-Leidel
Beitrag melden
20.12.2022, 13:50 Uhr
Antwort von Experte-Leidel

Guten Tag,

wir wissen beide, dass Sie an einer Angststörung leiden und sich deswegen in Therapie befinden.

Neben der Angst quält Sie aber - nach meiner Vermutung - auch noch eine Zwangsstörung, deren Therapie noch schwieriger ist als die der Angst.

Wir können beide eigentlich nur hoffen, dass Ihre Therapie zu einer Besserung führt.

Mit freundlichen Grüßen

Dr. Jan Leidel

Avatar
Beitrag melden
20.12.2022, 15:52 Uhr
Antwort

Ja, das wissen wir beide, das stimmt. Dennoch habe ich meine Frage, finde ich, zwei Mal sehr klar formuliert. Natürlich weiß ich, dass diese Fragen überhaupt erst aufkommen, weil ich unter diesen Ängsten leide. Aber es würde mir in meinem Alltag sehr helfen, zu wissen, ob Viren unter diesen Umständen aktiv bleiben können, oder ob ich mir das nur zusammenspinne. Ich versuche, mich sachlich zu informieren und damit rational gegen meine Ängste vorzugehen. Und damit war ich mit meinen beiden Beiträgen bisher in diesem Forum besser aufgehoben als beim wilden "Rumgoogeln". Ich habe sehr qualifizierte Antworten erhalten, die ich in den letzten Jahren immer wieder durchlesen konnte, wenn ich mich nochmal mit einer ähnlichen Situation konfrontiert sah.

Ich würde mich daher sehr freuen, wenn Sie meine Frage nach dem Aktiv-Bleiben der Viren bei Kälte/Nässe (wie ich sie schon in der Überschrift formuliert habe) noch auf sachlich-fachlicher statt auf persönlicher Ebene beantworten könnten.Das würde mir wirklich, auch für künftige Situationen, sehr helfen. Auch wenn sie, wie denke ich die meisten Fragen in diesem Forum, von einer Angstpatientin gestellt wird. Davon sind Sie womöglich genervt, das verstehe ich. Aber es gibt auch Menschen wie mich, die bereits verschiedene Therapien in Anspruch genommen haben, und diese Angst nicht losgeworden sind. Es ist gewiss nicht so, dass ich bei jeder aufkommenden "kleinen" Angst hier einen Beitrag verfassen würde, dann würde es fast täglich einen geben. Denn diese Nachrichten zu verfassen, ist für mich trotz Anonymität auch eine große Überwindung und mit sehr viel Scham behaftet. Das mache ich wirklich nur, wenn die Angst mich sehr quält und ich nirgendwo eine Antwort auf meine Frage finden kann. Bzw. im Internet nur Informationen finde, die meine Angst schüren, wie eben, dass Viren in der Kälte länger aktiv bleiben. 

Natürlich können Sie mir die Antwort auch verweigern, da ich erwähnt habe, dass ich unter einer Angststörung leide. Aufgrunddessen jetzt regelrecht darum zu betteln, fühlt sich für mich aber auch degradierend an. Das würde ich nicht tun, wenn ich grad eine andere Lösung hätte, meine Angst zu mildern.

Experte-Leidel
Beitrag melden
20.12.2022, 19:50 Uhr
Antwort von Experte-Leidel

Guten Abend,

es tut mir leid, dass Sie auf meine Antwort warten mussten. Aber ich kann erst jetzt wieder an meinem Schreibtisch sein.

  1. Dass der Erschossene drogenabhängig war, bedeutet nicht automatisch, dass er auch an HIV oder Hepatitis C erkrankt war.
  2. Bei einer Tötung durch Kopfschuss kann die ausgetretene Blutmenge sehr gering, vielleicht sogar Null sein. Haben Sie darüber Informationen?
  3. Ich halte es für unwahrscheinlich, dass so viel Blut geflossen sein könnte, dass die Autos und Fahrräder wirklich nennenswert damit kontaminiert worden sein könnten.
  4. Noch geringer ist die Wahrscheinlichkeit, dass dadurch die Möglichkeit bestand, in flüssiges Blut zu greifen und sich dabei derart zu kontaminieren, dass mit den (immer noch mit flüssigem Blut kontaminierten) Händen beim Einkaufen die Kontamination wiederum weiter gegeben werden könnte.

Mit freundlichen Grüßen

Dr. Jan Leidel

Beitrag melden
23.12.2022, 23:40 Uhr
Kommentar

Hallo Herr Dr. Leidel,

vielen Dank, dass Sie sich noch einmal die Zeit genommen haben, auf meine konkrete Angst-Situation einzugehen. Das weiß ich sehr zu schätzen und hilft mir sehr.

Dennoch eine letzte Rückfrage hinsichtlich meiner eigentlichen Ausgangsfrage, die mir sicherlich auch in Bezug auf möglicherweise zukünftig auftretende Situationen helfen könnte:

Ist davon auszugehen, dass Viren in kontaminiertem Blut außerhalb des Körpers nach kurzer Zeit ("Tagen", um das RKI zu zitieren) zugrunde gehen/"inaktiv" werden, auch wenn sich das Blut in der Kälte draußen befindet? Ich lese immer wieder, dass diese Viren enorm empfindlich gegenüber Umwelteinflüssen sind, aber der Kälteaspekt lässt mich dann häufig grübeln und war eben auch der Anlass für meinen Beitrag hier.

Ich wünsche Ihnen hoffentlich arbeitsfreie, besinnliche Weihnachtstage.

Experte-Leidel
Beitrag melden
24.12.2022, 16:28 Uhr
Antwort von Experte-Leidel

Guten Tag,

die Widerstandsfähigkeit von Viren (Tenazität) ist abhängig davon, ob es sich um ein sog. behülltes Virus oder ein "nacktes" Virus ohne Virushülle handelt. Außerdem spielt es eine Rolle, ob das Virus sich z. B. in Blut befindet. 

Schließlich spielen die Umweltbedingungen eine Rolle: UV-Strahlung (Sonne!) kann es rascher inaktivieren. Auch die Außentemperatur spielt eine Rolle usw. usw.

In Ihrer Situation wird HIV relativ rasch inaktiviert, Hepatitis C dürfte sich etwas länger halten. 

Für Sie sehe ich keine Gefahr.

Ich wünsche Ihnen ein Frohes Weihnachtsfest. Und bleiben Sie gesund.

Mit freundlichen Grüßen

Dr. Jan Leidel

Diskussionsverlauf
Corona: Welche Symptome sind möglich?

Die wichtigsten Fakten zum Coronavirus im Überblick und der aktuelle Impfstatus in Deutschland →

mehr...
Stellen Sie selbst eine Frage!

...an andere Nutzer der Lifeline-Community oder unsere Experten

Stichwortsuche in Fragen und Antworten

Durchstöbern Sie anhand der für Sie interessanten Begriffe aus Gesundheit und Medizin die Beiträge und Foren in der Lifeline-Community.

Übersicht: Expertenrat
afgis-Qualitätslogo mit Ablauf 2024/05: Mit einem Klick auf das Logo öffnet sich ein neues Bildschirmfenster mit Informationen über FUNKE Digital GmbH und sein/ihr Internet-Angebot: https://www.lifeline.de/

Unser Angebot erfüllt die afgis-Transparenzkriterien.
Das afgis-Logo steht für hochwertige Gesundheitsinformationen im Internet.

Sie haben Lifeline zum Top-Gesundheitsportal gewählt

Sie haben Lifeline zum Top-Gesundheitsportal gewählt. Vielen Dank für Ihr Vertrauen.