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Wesensveränderung

Kategorie: Leben-Familie » Expertenrat Depression - Burnout - Stress | Expertenfrage

11.11.2000 | 01:11 Uhr

Hallo.
Ich hätte mal gerne die Einschätzung eines Experten bzgl. folgender Situation:
Mein Vater ist Alkoholiker, mittlerweile trocken. In meiner Kindheit
vom 6 bis zum 14 Lebensjahr bin ich auf die übelste Weise von meinem Vater mißhandelt worden, psychisch wie physisch. Das heißt getreten, geschlagen, auch mit Gegenständen, ständig beleidigt, gedemütigt. Seiner Meinung nach war ich häßlich, faul, dumm, eben einfach das allerletzte. Wenn er mich dann verprügelt hat, was auch vorkam, wenn ich krank war, und ich anschließend geheult habe, hat er mir öfters solange Mund und Nase zugehalten, bis ich keine Luft mehr bekommen habe, und dann still war. Meine Mutter hat es letztlich hingenommen, nach außen hin war die Familie in Ordnung, halt heile Welt. Ich war eben der perfekt funktionierende Musterknabe, gute Noten, höflich, sozial. Bin jetzt 25, habe mittlerweile überhaupt keinen Kontakt mehr zu meinem Vater, schlag mich mehr schlecht als recht durchs Leben. Vor drei Jahren hatte ich den letzten Kontakt mit meinem Vater, hab ihm die ganzen Sachen vorgeworfen, worauf er dann ganz lapidar meinte, er sei halt alkoholkrank gewesen, das wäre alles die alkoholbedingte Wesensveränderung, damit war die Sache dann erledigt. Was soll ich davon halten? Ich trag seit Jahren diese Wut und diesen Haß mit mir rum...

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11.11.2000, 03:11 Uhr
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Guten Tag! Schade, dass Ihr Vater nun auch die letzte Chance vertan hat, sich mit Ihnen zu versöhnen. Ich bekomme auch kalte Finger, wenn ich die von Ihnen beschriebene Ausrede Ihres Vaters lese. Es ist eine Ausrede, basta. Natürlich gibt es eine Wesensänderung bei schwerem und langdauerndem Alkoholismus. Aber nach Ihrer Schilderung war Ihr Vater einfach betrunken und gewalttätig. Wie Sie den Hass loswerden ... Indem Sie Ihr eigenes Leben annehmen und als kostbar und schützenswert bewahren. Bitterkeit und Hass sollen in der Vergangenheit bleiben, wo sie hingehören (und eine sehr verständliche Reaktion waren). Versuchen Sie zu lieben ... Gruss Dr.Carsten Pickert

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11.11.2000, 06:11 Uhr
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Lieber Herr Dr. Pickert, <p>ich habe die Mail gerade gelesen und war im Jahr 2020 ...
Eine Bekannte von mir ist Alkoholikerin und behandelt ihren Sohn ähnlich übel wie oben von dem Mann beschrieben. <p>Jede Kritik, Hilfe, etc. schlugen bei ihr fehl... ich hätte mich mit einer Wand konstruktiver unterhalten können. <p>Jetzt ist er unter der Woche in guten Händen (Erziehungsheim) und wird nur noch am Wochenende mit der Gewalt konfrontiert.
Sie beteuert zwar immer, dass sie ihr Kind über alles liebt, verhält sich aber in keinster Weise so. Ganz im Gegenteil - voller Haß, dann wieder erdrückende (wortwörtlich) Liebe!
Ich habe mich nun so gut wie ganz zurückgezogen, doch gedanklich beschäftigt es mich noch sehr.
Ist ihre Grundpersönlichkeit so kaputt und der Alkohol verstärkt das?! Oder wären diese Prügelphasen vorbei, wenn sie mal wieder nüchtern wäre und ihr Hirn funktioniert - nicht das weiterzugeben, was man an negativen Erlebnissen selber mitbekommen hat?!
Über eine Antwort würde ich mich sehr freuen! <p>Liebe Grüße <p>Susi :-)

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12.11.2000, 11:11 Uhr
Antwort

Hallo Susi,
ich bin zwar nicht Dr. Pickert, möchte Dir aber trotzdem eine Meinung schreiben:
Ich bin 37 Jahre alt, war früher auch Alkoholiker, über viele Jahre hinweg. Gewalttätig wurde ich nie, zwar überaus agressiv aber letztendlich konnte ich die Gewalt, die zweifelsohne irgendwann mal aus mir herausgebrochen wäre, immer noch zurück halten. Seit nunmehr 8 Jahren trinke ich keinen Alkohol mehr und fühle mich einfach toll. Weiterhin konnte ich beobachten, dass ich viel ruhiger, abgeklärter und auch nicht mehr agressiv bin. Diese Beobachtung mache ich auch bei zwei Trinkkumpels von früher, die mittlerweile auch nicht mehr trinken. Man kann hier also eindeutig einen direkten Zusammenhang zwischen Alkoholkonsum und Agressivität bis hin zur Gewalt ausmachen.
Im Falle Deiner Bekannten hilft wirklich nur eins: Therapie und nie wieder Alkoholkonsum. Nur: darauf muss sie selbst kommen, Therapien unter Zwang bringen nämlich nichts, Deine Bekannte muss den ersten Schritt machen, ihr Umfeld kann ihr erst dann helfend zur Seite stehen. <p>Viele Grüsse
Volker

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12.11.2000, 16:11 Uhr
Antwort

Hallo Volker, <p>danke für deine Antwort! Ja, dass sie selber dahinter kommen muß, ist mir schon klar. Ich habe aber während dieser ganzen Auseinandersetzungen nicht einschätzen können, was nun der Grundpersönlichkeit angehört und was der Alkohol zu Tage bringt ... Alkohol senkt ja die Hemmschwelle.
Während ihrer Therapie war sie ein vollkommen anderer Mensch - es war, als ob mir eine neue Person gegenüber stünde. Doch in einem war sie eben gleich - der Kindererziehung schadet Schlagen nicht und auch ihre Schuldzuweisungen bezogen sich auf das Verhalten des Kleinen und nicht etwa auf ihr eigenes! Ich war unsicher, ob sie einfach noch nicht so weit war oder ob hinter ihrer Ambivalenz etwas anderes steckt...
Würde mich freuen, wenn du vielleicht mehr erzählst! :-)
Wenn du Lust hast, kannst du mir auch eine Mail schicken ...
[email protected] <p>Liebe Grüße
Susi

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12.11.2000, 19:11 Uhr
Antwort

Guten Tag! Schwer zu sagen, aber ich würde mich Ihrer Meinung anschliessen, dass der Alkohol verstärkt, das Gute und das Böse. Also, ja, die Grundpersönlichkeit, wie Sie sagen, ist beschädigt. Spezifisch für Sucht ist, dass die Menschen es mit sich, mit der Situation ganz konkret so wie es jetzt ist, nicht aushalten. Dann kommt das Künstliche, Sentimentalität, Lügen, Eiapopeia... Nur, der sich betrügende Mensch (oder andere) spüren das und der Selbsthass, die Unzufriedenheit, der Widerwille gegen das, was nüchtern einfach da ist, nimmt nun um so schlimmere Formen an, zumal der Rausch alle Hemmungen hinwegspült ... Also, wer hasst, hasst im Rausch noch mehr, wer liebt, wird auch im Rausch kein Monstrum ... So verstehe ich es auch. Gruss Dr.Carsten Pickert

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